Auf einem Handy-Video ist zu sehen, wie sich einige Mädchen aus Flandern wegen einer Lappalie in die Haare kriegen. Plötzlich gibt es eine wirkliche Gewaltexplosion: Ein Mädchen wird samt Fahrrad umgerissen, zwei andere schlagen und treten auf dieses ein. Innerhalb von zwei Sekunden bekommt das Opfer vier bis fünf Tritte an den Kopf. Ein anderes schreit noch: "Hör' auf, hör' auf". Es greift aber niemand ein. Der Film wurde in Willebroek aufgenommen, nördlich von Brüssel. Die Bilder sorgen insbesondere in Flandern für ziemliche Erschütterung. Das Opfer habe in der Nachbarschaft Hilfe gesucht, sagt Dirk Van de Sande von der Polizei Mechelen. Und dann seien auch Krankenwagen und Polizei alarmiert worden. Die Polizei habe dann den Fall aufgenommen. Die beiden Mädchen, die auf das Opfer eingetreten haben, wurden wenig später identifiziert und verhört. Dabei stellte sich heraus: die Mädchen sind erst 14. Und die seien richtig gefährlich, sagt ein Psychologe auf Seite eins des flämischen Massenblatts Het Laatste Nieuws. "Die Mädchen zeigen nicht die Spur von Mitgefühl", sagt der Fachmann.
Der Fall wäre vielleicht nur eine Geschichte für die Rubrik "Polizeibericht", wenn er nicht in gewisser Weise repräsentativ wäre. Gerade am Freitag bringt die Brüsseler Zeitung Le Soir die Schlagzeile, dass einer von vier jugendlichen Straftätern in Brüssel ein Mädchen ist. Das jedenfalls geht aus einer Erhebung des Nationalen Instituts für Kriminalistik und Kriminologie und der VUB, der Freien Universität Brüssel, hervor. Hier geht es um die Altersklasse bis 25 Jahre.
Tendenz steigend: Die Studie beobachtet den Zeitraum 2008 bis 2012. Und hier zeigt sich: Die Fälle, in denen Mädchen oder junge Frauen in Straftaten verwickelt sind, nehmen zu.
Die Studie räumt aber auch noch mit anderen Vorurteilen auf. So ist die Zahl der Straftaten von Minderjährigen deutlich rückläufig: ein Minus von 34 Prozent, ein Drittel. Hinzu kommt: Hier geht es in den seltensten Fällen um notorische Wiederholungstäter. Nur ein Viertel der jugendlichen Straftäter bis 25 haben mehr als zwei Vergehen auf dem Kerbholz. Der "harte Kern", das sind gerade einmal 3,5 Prozent. Und diese kleine Gruppe kann man dann wirklich als "problematisch" bezeichnen: Diese 3,5 Prozent haben jeweils mehr als zehn Delikte begangen und sind allein für ein Viertel aller Jugendstraftaten verantwortlich. Immer noch geht aber eine von fünf Straftaten in Brüssel auf das Konto eines Jugendlichen unter 25.
Und noch ein Vorurteil wird durch die Studie widerlegt: Auf der Grundlage der Zahlen kann man nicht behaupten, dass die Straftäter jünger werden. Zu bestätigen scheint sich aber die Feststellung, dass es einen Zusammenhang zwischen Jugendkriminalität und Armut gibt, schreibt Le Soir.
Fazit also: Die Zahl der von Jugendlichen begangenen Straftaten ist rückläufig. Dabei gibt es vergleichsweise wenig Wiederholungstäter; und der Anteil von Mädchen unter den jugendlichen Straftätern steigt. Eine Erklärung für diese Feststellungen hat auch Le Soir nicht parat. Statistiken kann man so oder so interpretieren.
Roger Pint - Bild: Francis R. Malasig (epa)