Das seit Jahren anhaltende flämisch-frankophone Konfliktthema Brüssel-Halle-Vilvoorde ist vorübergehend wieder vom Tisch. Im Vorfeld der mit Spannung erwarteten Kammersitzung haben die frankophonen Parteien die parlamentarische Prozedur der so genannten Alarmglocke in Gang gesetzt und damit eine Abstimmung über BHV im Parlament verhindert. Die flämischerseits geforderte Spaltung des Wahlbezirks Brüssel-Halle-Vilvoorde wurde deshalb nicht auf die Tagesordnung der heutigen Kammersitzung gesetzt. Das Thema wird damit an die Regierung überwiesen, die innerhalb von 30 Tagen dazu Stellung nehmen muss.
Scharfe Worte
Dennoch begann am Nachmittag die Kammersitzung in angespannter Atmosphäre. Zum Auftakt der Plenarsitzung gab Kammerpräsident Dewael eine Erklärung zu den schweren Vorfällen vom vergangenen Donnerstag ab, als Politiker des Vlaams Belang im Abgeordnetenhaus ein Spruchband mit der Aufforderung zur Spaltung des Landes entrollten und den Vlaamse Leeuw sangen. Kammerpräsident Dewael verurteilte diesen Auftritt in scharfer Form. Mitglieder einer Partei hätten das Parlament missbraucht, sagt er. Das Parlament sei kein Platz, der von einer einzigen politischen Formation erobert werden dürfe. Das Parlament sei der Kern der Demokratie, meinte Dewael unter allgemeinem Applaus. Lediglich der Vlaams-Belang-Abgeordnete Annemans kündigte in einem Wortwechsel mit Dewael andere und noch härtere Aktionen an. Dewael bezeichnete diese Wortmeldung als beschämend.
Im Verlauf der Sitzung unternahm die Flämisch-Nationalistische N-VA ihrerseits einen Versuch, die Prozedur der Alarmglocke zu umgehen. Sie hinterlegte einen Resolutionsvorschlag, in dem die Regierung gebeten wird, BHV zu spalten. Die N-VA verlangte eine dringende Abstimmung am Spätnachmittag, wenn über die anderen Projekte abgestimmt wird.
Danach ging die Kammer zu ihrer normalen Tagesordnung über. Unter anderem geht es um die belgische Griechenlandhilfe, um Haushaltsfragen und das Burka-Verbot im öffentlichen Raum.
Die Alarmglocke
Die so genannte Alarmglocke ist als Schutz in der Verfassung festgeschrieben und kann dann angewendet werden, wenn sich eine Sprachgruppe des Landes in ihren Grundrechten bedroht sieht. Die Entscheidung der frankophonen Parteien wurde getroffen, nachdem sich das Präsidium der Kammer zum bereits dritten Mal in dieser Woche nicht auf die Tagesordnung der heutigen Kammersitzung hatte einigen können.
Neuwahlen
Der Termin für vorgezogene Neuwahlen am 13. Juni steht noch nicht endgültig fest. Voraussetzung ist, dass sich die Parteien bis Montag oder Dienstag kommender Woche auf die Verfassungsartikel verständigen können, die in der nächsten Legislaturperiode abgeändert werden könnten.
Eine weitere Voraussetzung ist die Garantie, dass die im Ausland lebenden Belgier gültig wählen können. Die frankophonen Liberalen haben bisher noch nicht die geforderten Zusicherungen erhalten. Ab morgen sollen sich Arbeitsgruppen damit befassen. Wenn alle Partner der ausscheidenden Mehrheit den Schlussfolgerungen dieser Arbeitsgruppen zustimmen, kann am 13. Juni ein neues Parlament gewählt werden.
In diesem Falle würde die Kammer am nächsten Mittwoch eine Reihe von Gesetzesvorhaben im Rahmen der laufenden Geschäfte verabschieden. Kammer und Senat würden am Donnerstag die Liste der Verfassungsartikel billigen. Daraufhin würde das Parlament aufgelöst. Sollten diese Termine nicht eingehalten werden, könnten die Wahlen erst am 20. oder 27. Juni stattfinden. Beobachter wiesen darauf hin, dass dann bereits viele Belgier im Ausland wären, was die Legitimität der Wahlen wieder in Frage stellen würde.
belga/vrt/brf - Bild: epa