17. Juni 2010, quasi auf den Tag genau vor fünf Jahren - ein Reiterhof in Oostkamp südlich von Brügge, angegliedert ist auch ein Bed&Breakfast. In dem Ferienkomplex arbeitet eine junge Frau. Die 19-Jährige kümmert sich um die Pferde. An besagtem 17. Juni 2010 gegen Mittag ändert sich ihr Leben auf dramatische Weise. Plötzlich wird's dunkel in ihrem Gedächtnis. Im Grunde weiß sie nur noch, dass sie irgendwann mit schwersten Verletzungen im Krankenhaus aufgewacht ist. Der Befund der Ärzte war eindeutig: Die junge Frau wurde auf brutalste Weise vergewaltigt. Sie wies sogar Spuren von Folter auf. Bis heute kann sie sich nicht erinnern, was genau passiert ist.
Es sei tatsächlich so, bestätigte der Trauma-Psychologe Erik De Soir in der VRT: In gefährlichen Situationen ändert sich das Bewusstsein, bekommen Menschen so eine Art Tunnelblick. Dissoziation nennt der Fachmann das: Der Mensch sieht nur noch, was fürs Überleben unbedingt notwendig ist, alles andere blendet er aus.
Opfer konnte sich an nichts erinnern
Zwar konnte sich das Opfer an nichts erinnern, dennoch fiel der Verdacht schnell auf einen Gast, der zum fraglichen Zeitpunkt in dem Bed&Breakfast wohnte: ein heute 54-jähriger ehemaliger Notar. Nach seiner Darstellung hatte er den Reiterhof zum Tatzeitpunkt längst verlassen - und da sei noch alles in bester Ordnung gewesen. Auf der Fahrt habe ihn aber eine andere Pferdepflegerin angerufen und ihm in Panik berichtet, dass etwas Furchtbares passiert sei. Er sei dann wieder umgedreht und habe dann auch die 19-Jährige ins Krankenhaus gefahren.
Die Ermittler glaubten ihm nicht. Der Untersuchungsrichter entschied sich daraufhin für eine außergewöhnliche Maßnahme: Das Opfer sollte in Hypnose versetzt werden, um die Erinnerungen wieder hervorzuholen.
"Das ist durchaus eine Option", sagte auch der Psychologe Erik De Soir. Man kann über Hypnose jemanden dazu bringen, in die Regionen seines Gedächtnisses vordringen zu lassen, wohin er die traumatischen Ereignisse verdrängt hat. Und das erlaubt es dann in der Tat, den Menschen das traumatische Ereignis quasi nochmal durchleben zu lassen.
Fachmann versetzte die Frau in Hypnose
Genau das hat man also gemacht. Ein Fachmann versetzte das Opfer in Hypnose und ließ die Frau zu dem Zeitpunkt zurückkehren, als sie das Opfer des furchtbaren Verbrechens wurde. Die Sitzung ist gefilmt worden und wurde vor Gericht hinter verschlossenen Türen gezeigt. Diejenigen, die die Bilder gesehen haben, zeigten sich äußerst beeindruckt. Die junge Frau schildert plötzlich in allen Details, was sie um 12 Uhr an besagtem 17. Juni 2010 gemacht hat.
Momentweise werden ihre Aussagen enorm emotional, zeigt sich heftige Reaktionen. In diesen Momenten bringt der Hypnotiseur sie in ihrem Kopf in einen "sicheren Raum", an einen Ort, an dem sie sich sicher und geborgen fühlt und wo sie verschnaufen kann. Und bei dieser Sitzung bezeichnet sie den verdächtigen Notar eindeutig als den Täter.
Zehn Jahre Haft für Angeklagten
Der Richter schenkte diesen Aussagen Glauben. Der Angeklagte wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt. "Die Aussagen unter Hypnose, das war aber nur ein Puzzlestück", betont Rik Demeyer, der Anwalt des Opfers. Im Grunde hätten die Angaben seiner Mandantin nur ein Bild vervollständigt.
In der Tat gab es eine Reihe von Indizien, die allesamt gegen den Angeklagten sprachen. Laut Bildern einer Überwachungskamera war er der einzige, der zum Tatzeitpunkt auf dem Hof war. Er hat sich außerdem im fraglichen Zeitraum umgezogen. Und bei einer Hausdurchsuchung wurden zudem Beweisstücke sichergestellt, die auf perverse sexuelle Neigungen schließen ließen. Die Aussagen unter Hypnose seien zwar kein Beweis an sich, hätten aber die übrigen Indizien gestützt, bestätigt auch ein Sprecher des Brügger Strafgerichts.
Erleichterung jedenfalls bei der heute 24-jährigen Frau, die das Opfer des schrecklichen Verbrechens wurde. Seine Mandantin sei für ihr Leben gezeichnet, sagt ihr Anwalt. Drei Mal die Woche besuche sie eine Therapie. Und sie sei jetzt, fünf Jahre danach, einfach nur froh, dass der Gerechtigkeit endlich Genüge getan wurde. Das sei auch wichtig, um das Ganze zu verarbeiten.
Illustrationsbild: Kurt Desplenter (belga)
Und der Täter wird, wie üblich, nur eine minimale Strafe bekommen, irgendwann wegen guter Führung vorzeitig das Gefängnis verlassen dürfen, das war's dann für ihn. Sein Opfer allerdings wird für sein ganzes Leben gezeichnet bleiben, man darf vermuten, in jeder Hinsicht.
Was solche Triebtäter angeht, diese werden auch nicht, was ihre Taten angeht, in Zukunft nicht vor solchen neuen Methoden zurückschrecken, denke, da ist Hopfen und Malz verloren