Türkisches Problem in der belgischen Politik

"Wer den Völkermord an den Armeniern leugnet, fliegt innerhalb einer Sekunde aus der Partei", hatte CDH-Vorsitzender Benoît Lugten vergangene Woche noch großspurig erklärt. Am Freitag mussten die Zentrumshumanisten den markigen Worten plötzlich Taten folgen lassen.

Die Brüsseler Regionalabgeordnete Mahinur Özdemir war vor Fernsehkameras geflüchtet und auch vor ihren Parteiverantwortlichen wollte sie keine klare Stellung zum Völkermord an den Armeniern vor 100 Jahren im Osmanischen Reich beziehen.

Den Rauswurf aus der Partei findet sie ungerecht. Die Mandate im Brüsseler Regionalparlament und im Stadtrat von Schaerbeek will sie jedenfalls nicht ablegen, sondern als "Parteilose" weitermachen. "Mit Demokratie und Humanismus hat der Ausschluss nichts zu tun", sagt Özdemir in Anspielung auf den Namen ihrer ehemaligen Partei. Sie fühle sich verraten.

"Die CDH ist in der Frage des armenischen Völkermords heiliger als der Papst", meint die Politikerin mit türkischen Wurzeln. "Obwohl Belgien den Genozid nicht offiziell anerkennt, muss ich mich dazu klar bekennen." Özdemir kann nicht nachvollziehen, warum man Menschen mit türkischen Wurzeln in Sachen armenischen Genozid festnagelt.

Inzwischen erhält die Regionalabgeordnete sogar Unterstützung aus der Türkei - von der islamisch-konservativen AKP von Staatspräsident Erdogan. Der Rauswurf aus der CDH sei ein Angriff auf die freie Meinungsäußerung, heißt es in einer schriftlichen Mitteilung der AKP. Das werten belgische Politiker wiederum als Einmischung in unsere Politik.

Für CDH-Präsidenten Lutgen ist die Sache aber klar wie Kloßbrühe. "Wer Genozide leugnet, hat in einer demokratischen Partei nicht zu suchen", erklärt Lutgen und hofft, dass andere Parteien genau so konsequent sein werden.

Das kann man als klaren Seitenhieb auf die PS werten. Der sozialistische Abgeordnete Emir Kir, ebenfalls türkischstämmig, hatte die Debatte entfesselt, als er der Gedenkminute für die Opfer des armenischen Völkermords vor wenigen Wochen in der Kammer ferngeblieben war. Statt eines Rauswurfs hat die PS ihn lediglich zurechtgewiesen. Zum Genozid hat Kir bislang aber noch immer nicht klar Stellung bezogen.

"Die PS wird sich entscheiden müssen, was ihr wichtiger ist", sagt Christian Vouyr von der armenischen Gemeinschaft in Belgien. "Entweder ist der Partei die konsequente Haltung in Sachen Genozid wichtiger oder ihre türkischen Wähler."

Die Mehrheitsparteien arbeiten nach Angaben von MR-Fraktionssprecher Denis Ducarme an einer Resolution, damit der belgische Staat den Völkermord an den Armeniern offiziell anerkennt, und zwar noch dieses Jahr. Nur wenn Belgien eine klare Position zum armenischen Völkermord einnehme, werde man diese elenden Ethnisierungs-Vorgänge beenden können.

Unter anderem die Niederlande, Frankreich, das EU-Parlament und die UNO werten das Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren als Völkermord. Vor allem die Türkei weigert sich aber, von Genozid zu sprechen.

Bild: Laurie Dieffembacq/BELGA