Streik, diesmal im Öffentlichen Dienst. Aufgerufen dazu hat allein die sozialistische Gewerkschaft CGSP. Die Liste der Knackpunkte ist so lang wie bekannt: die Rentenreform, eine neue Berechnungsgrundlage für die Beamtenpensionen, der Indexsprung, die Beschneidung der Gehälter, zählt ein CGSP-Gewerkschafter aus Charleroi auf. Hinzu komme, dass in den Verwaltungen vier von fünf Beamten nicht ersetzt würden, was natürlich auch negativen Einfluss auf die Qualität der Dienstleitung haben werde. Stattdessen müsse verstärkt auf Vertragsangestellte oder Zeitarbeitskräfte zurückgegriffen werden. Das alles sei so nicht mehr hinnehmbar.
"In erster Linie richtet sich dieser Streik gegen die Föderalregierung", sagt auch CGSP-Chef Michel Meyer. Die zeichne schließlich für die meisten dieser Entscheidungen verantwortlich. Allerdings sei vorhersehbar, dass es etwa in der Wallonischen Region zu ähnlichen Maßnahmen kommen dürfte. "Und für uns", so sagt der CGSP-Chef, "hat die föderale Austerität denselben Geschmack wie die wallonische Haushaltsdisziplin. Das ist Pott wie Deckel."
Entsprechend trifft der Streik also das ganze Land. Schon seit 22:00 Uhr am Dienstagabend fährt so gut wie kein Zug mehr, zumindest auf den Hauptachsen. In einigen strategischen Bahnhöfen blockieren die Streikenden auch die Bahngleise. Im Öffentlichen Nahverkehr ist die Lage nicht viel rosiger. Bei der wallonischen TEC sind die meisten Busse in den Depots geblieben. In der Provinz Lüttich fahren, wenn überhaupt, dann nur die privaten Anbieter. Auch bei der Brüsseler STIB werden nur einige wenige Achsen bedient: Auf ein paar Metro- und Tramlinien gibt es ein Minimalangebot, auch eine Handvoll Busse verkehrt. Und auch bei der flämischen De Lijn wird der Streik gut befolgt.
Resultat waren jedenfalls im ganzen Land noch längere Staus als im Normalfall. Wobei: es hätte schlimmer kommen können, sagte eine Sprecherin der Brüsseler Verkehrsleitzentrale. Viele Menschen stellten sich nämlich erfahrungsgemäß auf die Situation ein und arbeiteten von zuhause aus.
Bestreikt werden auch die Post und zahlreiche Verwaltungen. Die CGSP hat darüber hinaus in Brüssel Streikposten vor symbolischen Gebäuden errichtet wie vor der Proximus-Zentrale, vor der Monnaie-Oper oder vor dem Hauptsitz der Finanzverwaltung in der Nähe des Nordbahnhofs.
Federführend ist hier in vielen Fällen allein die CGSP. CSC und CGSLB hatten sich dem Streikaufruf nicht angeschlossen. Er fühle sich aber nicht alleine, sagte der CGSP-Vorsitzende Michel Meyer in der RTBF. Und er könne nur feststellen, dass sich auf dem Terrain viele Mitglieder der christlichen und der liberalen Gewerkschaft den Streikenden anschließen. Das Malaise beschränke sich also nicht auf die sozialistische Gewerkschaft.
Die anderen Gewerkschaften sind aber wenig erbaut über den Alleingang der roten Kollegen. Besonders scharf reagierte am der CSC-Vorsitzende Marc Lemans in der Zeitung La Libre Belgique. Das habe nichts mit der so oft beschworenen "gemeinsamen Gewerkschaftsfront" zu tun, wettert Lemans. "Die Roten entscheiden, die Grünen dackeln hinterher", so gehe es jedenfalls nicht. Er sei jedenfalls auch kein General von Napoleon, der seine Soldaten ins Gemetzel schicke.
"Bei uns entscheiden nicht die Generäle, sondern die Basis", erwidert Michel Meyer in der RTBF. Und dann noch ein kleiner Seitenhieb an den grünen Kollegen: "Wir bei der CGSP sind vielleicht ein bisschen flotter, wenn's darum geht, auf die Sorgen unserer Mitglieder einzugehen." Die gemeinsame Gewerkschaftsfront, die sei dafür aber nicht in Gefahr, unterstreicht der CGSP-Vorsitzende. "Und noch etwas", sagt Michel Meyer: "Wir sind keine Fortschrittsverweigerer. Wir treten nur für einen Öffentlichen Dienst ein, der den Namen auch verdient. Und wenn die anderen Gewerkschaften ehrlich sind, dann sehen sie das genauso."
Flämischer Unternehmerverband kritisiert Streik
Der flämische Unternehmerverband VOKA übt scharfe Kritik am Streiktag der sozialistischen Gewerkschaft. Die Aktion sei "gegen den Bürger" gerichtet. Die CGSP wolle offensichtlich nicht akzeptieren, dass die Regierung von den Bürgern gewählt worden sei, um die Staatsfinanzen und die öffentlichen Dienste zu sanieren.
Der flämische Unternehmerverband verweist auf staatliche Betriebe in anderen Ländern, die zum Beispiel bei der Bahn mit viel weniger Personal auskämen und dabei oft noch einen besseren Kundenservice hätten. (vrt/jp)
Archivbild: Elisabeth Callens (belga)