Auf die Frage, wie er die Folgen der Verseuchung auf die menschliche Gesundheit einschätzte, sagte Altpremier Jean-Luc Dehaene in seiner unnachahmlichen Weise kurz und knapp: Null! Ähnlich äußerte sich auch der SP.A-Politiker Marcel Colla, der 1999 wegen der Dioxin-Krise als Gesundheitsminister zurücktreten musste: Die Kontamination habe keine negativen Auswirkungen auf die Volksgesundheit.
Dass das nicht stimmte, das wussten Experten von Beginn an. "Uns war von vornherein klar, dass die Dioxin-Krise von 1999 kein Kinkerlitzchen war", sagte der Krebsspezialist Nik Van Larebeke in der VRT-Fernsehsendung Terzake. "Nur haben das einige unter den Teppich kehren wollen."
Damals waren die Fachleute davon ausgegangen, dass die Kontamination bis zu 8.000 zusätzliche Krebsfälle zur Folge haben könnte. Inzwischen hat sich gezeigt: Die wahren Auswirkungen sind noch viel dramatischer. Davon zumindest ist Nik Van Laerebeke überzeugt.
2004 hatte man das Blut von rund 1.000 Personen analysiert. Einige dieser Proben wiesen Dioxin-Konzentrationen auf, die zweieinhalb Mal höher lagen als bei den Menschen mit den niedrigsten Werten. 2011 hat man dieselben Personen wieder untersucht und vor allem nach ihren Gesundheitsproblemen befragt. Das Ergebnis war dramatisch: Menschen, bei denen sieben Jahre zuvor erhöhte Dioxinwerte festgestellt worden waren, hatten verstärkt mit Bluthochdruck und Diabetes zu tun, sagte Nik Van Larebeke in der VRT-Reportage.
Und noch schlimmer: Vor allem bei Frauen lag die Zahl der Krebserkrankungen sichtbar höher. Allein durch die Dioxin-Krise sei demnach die Zahl der Krebserkrankungen bei Frauen um zwei Prozent gestiegen. "Das klingt nach nichts, aber gemessen an der hohen Krebszahlen sind das 20.000 Fälle zusätzlich", sagt der Forscher.
Natürlich sei es unmöglich, die Zahlen wirklich präzise zu berechnen, sagt Nik Van Larebeke. Hier handele es sich letztlich immer um Extrapolationen. An der Tatsache selbst sei aber nicht zu rütteln: Die Zahlen zeigten deutlich, dass die Dioxin-Krise tausende Fälle von ernsten Erkrankungen zur Folge gehabt hat.
Eine wirkliche Katastrophe also, sagt Van Larebeke. Es gibt aber zumindest eine positive Erkenntnis. "Wir haben unsere Lehren daraus gezogen", ist etwa der grüne EU-Abgeordnete Bart Staes überzeugt. "Wenn man die 80-90er Jahre mit ihren zahlreichen Lebensmittelskandalen mit der heutigen Zeit vergleiche, dann muss man feststellen: Das ist doch wie Tag und Nacht."
Ein Blick zurück
Mai 1999: Eine Hiobsbotschaft sorgt für dicke Schlagzeilen: In belgischen Eiern werden erhöhte Dioxin-Werte festgestellt. Schnell zeigt sich, dass alle Geflügelprodukte betroffen sind. Am 28. Mai 1999 werden alle Geflügelprodukte aus dem Handel genommen - der offizielle Beginn der Dioxin-Krise.
Wie sich später herausstellte, ging die Verseuchung auf eine Kontamination des Hühnerfutters zurück: Bei einem Fettschmelzunternehmen war wohl Transformator-Öl in das Futter gelangt.
Die Affäre sollte weite Kreise ziehen. Wochenlang blieb der Export von belgischen Eiern oder Geflügelprodukten verboten. Die Belgier hatten alle Mühe, die europäischen Gesundheitsbehörden zu überzeugen, dass die Waren wieder sauber sind.
Und auch politisch sorgte die Krise für ein Erdbeben: Bei den Wahlen einige Wochen später wurde die regierende Koalition des damaligen Premierministers Dehaene abgestraft. Seine christdemokratische CVP landete für acht Jahre in der Opposition.
rop/km - Bild: Peter Deconinck/BELGA