Läge die N-VA beim Psychotherapeuten auf der Couch, würde der eine leichte Form von Schizophrenie diagnostizieren. Kein Wunder: Bei dem Spagat, den die flämischen Nationalisten seit Monaten hinbekommen müssen, würde auch so manch anderer den Durchblick verlieren. Auf der Ebene, die sie am liebsten abschaffen würde, regiert die Neue Flämische Allianz jetzt mit. Und ihr wichtigstes Instrument – das heiße gemeinschaftspolitische Eisen – musste sie bis zur nächsten Wahl in den Kühlschrank stecken. Worauf hat Bart De Wever sich da bloß eingelassen?, fragen sich inzwischen immer mehr flämische Nationalisten.
Früher war alles so viel einfacher. Früher konnte die N-VA von morgens bis abends gegen das belgische Establishment wettern, gegen den PS-Staat. Doch die Sozialisten drücken jetzt die Oppositionsbank. Und zum Establishment gehört die N-VA inzwischen selbst. Statt Wahlsprüche zu klopfen geht es jetzt darum, Verantwortung zu übernehmen und Kompromisse zu schließen. Nicht nur mit den drei Koalitionspartnern, sondern auch mit den Gewerkschaften.
Willkommen in der harten, föderalen Realität. Da mussten schon einige Kanister Wasser in den N-VA-Wein geschüttet werden. Genau das schmeckt den Hardlinern an der Basis aber nicht...
Deswegen eröffnet die Partei regelmäßig Nebenkriegsschauplätze. Etwa, indem sie ihre föderalen Minister zum „Vlaams Nationaal Zangfeest“ nach Antwerpen schickt. Nicht etwa, weil der Kammervorsitzende Siegfried Bracke so gerne singt – wie er später in den Medien erklärte – sondern gezielt, um die Französischsprachigen zu provozieren. Botschaft an die N-VA-Mitglieder der ersten Stunde: „Wir haben unsere Ideale nicht verraten“.
Oder Partei-Chef Bart De Wever mit seiner Rassismus-Polemik. Mit den eindeutig zweideutigen Aussagen macht er den übergelaufenen Vlaams Belang-Wählern klar: „Bei uns seid ihr immer noch an der richtigen Adresse.“
In diesen Tagen ist es aber der N-VA-Ministerpräsident Geert Bourgeois, der dem flämischen Löwen alle Ehre macht: Erst forderte er den Austritt Belgiens aus der internationalen Organisation der Frankophonie – am 1. April, allerdings war das für ihn alles andere als ein Aprilscherz – und jetzt will er die Geldströme vom Norden in den Süden des Landes untersuchen lassen. Obwohl es dazu bereits zwölf verschiedene Studien gibt. Die Geldtransfers müssten wegen der Sechsten Staatsreform aber aufs Neue überprüft werden.
Prinzipiell ist das sein gutes Recht zu wissen, wie viel Geld jährlich von Flandern in die Wallonie fließt. Schließlich verfügen die meisten Bundesstaaten über ein transparentes Finanzierungsgesetz. Der Länderfinanzausgleich in Deutschland etwa kann auf den Cent genau beziffert werden. In Belgien variieren die Angaben zu den Nord-Süd-Transfers jedoch: Je nach Berechnungsmethode sind es zwischen sechs und zehn Milliarden Euro jährlich.
An den Geldtransfers kann Bourgeois zurzeit nichts ändern, mit der Studie will er vielmehr die nationalistische Basis beruhigen: "Wir bleiben an der Sache dran".
Bart De Wever höchstpersönlich hatte das Thema medienwirksam in Szene gesetzt. 2005, als seine Partei noch ganz klein war, war er mit einem Dutzend Lastwagen voller gefälschter 50 Euro-Scheine zum Schiffshebewerk von Strépy-Thieu gefahren, um die Nord-Süd-Transfers anzuprangern.
Was für ein Balanceakt zwischen nationalistischer Basis, Wählern am rechten Rand, dem sozial-wirtschaftlichen Flügel der Partei und insgeheim schon der Vorbereitung auf den gemeinschaftspolitischen Knall 2019. In diesem Wirrwarr müssen die N-VA-Minister auf föderaler Ebene ihre Arbeit verrichten und sich auf Inhalte konzentrieren – zugegeben bislang ohne größere Patzer, abgesehen von einigen verbalen Ausrutschern.
Bild: BRF