"Sehr geehrter Herr Elias: Ich reagiere in erster Linie an dieser Stelle, um Sie zurechtzuweisen." Ashley Vandekerckhove sitzt mit ernster Miene vor der Kamera. Bleicher Teint, die braunen Haare zu Zöpfen gebunden, eine strenge Brille auf der Nase. Sie wendet sich an Willem Elias. "Professor" Elias, um genau zu sein. Der Mann ist sogar Dekan der Psychologie-Fakultät der VUB, der flämischen Freien Universität Brüssel.
Willem Elias war ein guter Freund von Steve Stevaert, der sich am vergangenen Donnerstag das Leben genommen hatte. Elias hatte auf Facebook auf den Tod des Freundes reagiert und dabei harsche Kritik an der Frau geübt, die die Vergewaltigungsklage gegen Stevaert eingereicht hatte. "An die Dame, die diese Entscheidung auf dem Gewissen hat", schreibt Professor Elias: "Wer vergewaltigt wird, der geht sofort zur Polizei, vielleicht am Tag danach. Aber keine drei Jahre später..."
Es sind diese drei Sätze, die Ashley Vandekerckhove dazu gebracht haben, auf youtube zu reagieren. "Auch ich bin vergewaltigt worden", sagt Ashley mit zitternder Stimme. "Und auch ich bin erst drei Jahre später erst zur Polizei gegangen." Sie sei seinerzeit von ihrem damaligen Freund vergewaltigt worden, sagt Ashley. "Und ich", so sagt sie, "ich werden Ihnen, Professor Elias, jetzt mal erklären, was Frauen dazu bringt, erst drei Jahre später Anzeige zu erstatten."
In ihrem Fall sei es so gewesen, dass ihr zunächst niemand so wirklich geglaubt habe. Keiner ihrer Freunde habe ihr geraten, Anzeige zu erstatten. Und dann habe sie sich eben die Frage gestellt, wie denn wohl die Polizei damit umgehen würde. Am Ende habe sie sich nur noch gedacht: Dann war es vielleicht doch meine Schuld.
Genau das sei ein leider ziemlich typisches Verhalten, sagte die Psychologin Danielle Zucker in der RTBF. Es sei sehr schwierig, eine Geschichte zu erzählen, die einem peinlich ist, oder in der man sich vielleicht sogar schuldig fühle, was man nun keinesfalls sollte. Und da sei es nur natürlich, wenn jemand sagt: "Ich habe nicht die Kraft, mich jetzt auf diesen juristischen Kraftakt einzulassen".
Als wäre das alles nicht schon schwierig genug: Im Fall Stevaert kam dann noch ein Faktor obendrauf, sagt Ashley Vandekerckhove in ihrem Internet-Video: Der Mann war ein bekannter Politiker. Und so jemanden vor ein Gericht zerren? Wegen Vergewaltigung? Die Reaktionen auf seinen Tod zeigten doch, wie sehr der Mann für viele eine Ikone gewesen sei, sagt Ashley. Deswegen habe das mutmaßliche Opfer denn auch Angst gehabt. Angst, ihren Job zu verlieren, zum Beispiel. Klar, dass man da erst mal abwarte.
Sie wisse natürlich nicht, ob Stevaert die Frau nun tatsächlich vergewaltigt hat, oder nicht. Das hätte ein Gericht klären müssen. Das alles aber nur um zu sagen: Die Hemmschwelle sei so furchtbar hoch. Wird man mir glauben? Was wird jetzt passieren? Und, noch schlimmer: Wird man den Täter bestrafen?
"Und, geehrter Herr Elias, aus all diesen Gründen kann man auf die Meinung von irgendwelchen Besserwissern verzichten, die dann auch noch mit dem Finger auf die Opfer zeigen", sagt Ashley Vandekerckhove. "Zumal, wenn es sich, wie in ihrem Fall, auch noch um den Dekan einer Psychologie-Fakultät handelt. Ich denke nicht, dass sie der geeignete Mann für den Job sind; sie sollten abtreten", sagt Ashley.
Und dann noch eins, sagt Ashley Vandekerckhove: Sie wünsche sich, dass andere Frauen, die vergewaltigt wurden und die dieses Video sehen, dass sie auch zur Polizei gehen, und wenn es zehn Jahre zurückliegt.
Bild: Screenshot aus Youtube-Video