.
Soll ein Kommentar an einem Karfreitag dem kulturellen Charakter dieses Tages Rechnung tragen? Kann, muss aber nicht.
Doch es reizt, hat der Tag nicht zu tun mit Begriffen wie Schuld und Sühne? Moment, sagen gläubige Menschen, auch mit Vergebung, selbst mit Erlösung. Agnostiker können es nachvollziehen. Philosophen sicherlich. Und die Schreiber von Gesetzbüchern haben es getan. In unseren Breitengraden ließen sie sich sicherlich davon inspirieren, zum Teil vom Tod am Kreuz, und zum anderen vom scharfen Geist Voltaires.
Wenn nun Gino Russo den emeritierten Richter Christian Panier in dieser Woche als "Jesus von Namur" schmäht, weil er Michèle Martin beherbergt, ist das durchaus verständlich, aus seiner Sicht, eines Vaters, der durch nicht aufgeklärte Ermittlungsfehler kein unbelastetes Leben mehr führt - die Untersuchungsrichterin Doutrèwe war daran zerbrochen.
Christian Paniers Sicht ist auch verständlich, weil er sich auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehend fühlt: sind doch durch den Dutroux-Skandal besondere Gerichte geschaffen worden, die über eine vorzeitige Entlassung beschließen.
Jeder Belgier soll über Panier denken, was er will, aber niemand sollte ihm eine gewisse Konsequenz absprechen. So sagt und erklärt er es ja auch: seine Entscheidung verdeutliche den Unterschied zwischen einer Rachejustiz und einem zivilisatorischen Gesellschaftsbild. Sein Bekenntnis ist auch nicht verwunderlich, schon aus Löwen ist mir der frühere Kommilitone in Erinnerung als ein nicht unbescheidener, aber konsequenter Hinterfrager rechtlicher Doktrinen.
Anders Jean-Pierre Malmendier, der Vater von Corinne, die zusammen mit ihrem Freund Marc Opfer des vorbestraften Freigängers Muselle wurde, der Muselle, der in dieser Woche in seiner Gefängniszelle gestorben ist. Zerrissen hatte ihn die Mordtat Muselles, und aus Wut und Verzweiflung, aber auch mit einem Sendungsbewusstsein kämpfte er erst allein mit seinem Leidensgenossen Kistemann und ihrer GOE, und erweiterte dann sein Engagement parteipolitisch. 2010 traf ich ihn in Eupen bei einer Wahlkampfveranstaltung der MR-PFF. Diese hatte ihm einige Jahre zuvor einen Platz auf der Liste angeboten, und Malmendier hatte ihn dankend angenommen. Wer sollte ihm das verdenken? Natürlich fühlte er sich von diesem arroganten Thierry Muselle abgestoßen, und kämpfte, persönlich oder für die Partei, das ist die Frage, gegen vorzeitige Entlassungen, als "peines incompressibles" ein politisches Schlag-und Reizwort. Dann verlagerte er sein Engagement auf eine andere, mehr persönliche Ebene: "Hass macht kaputt", sagte er im BRF-Interview, daher setze er sich für Mediation ein, also ein Zusammentreffen von Täter und Opfer. Weshalb? Um inneren Frieden zu finden. Ist das nun dem Tag geschuldet? Ich weiß es nicht.
Doch Corinne, Marc, Muselle, Malmendier und Panier bleiben aktuell, über den Tag hinaus, Koen Geens hat es schon aufgegriffen: Überraschend schnell hat der Justizminister seine Leitlinien für eine vorsichtige Strafrechtsreform vorgelegt. Er dürfte mehr Erfolg haben als seine Vorgänger wie Verwilgen etwa, der mit der Brechstange im Hauruck-Verfahren ein "snelrecht" einführen wollte, das in seiner niederländischen Sprachform in die Diskussion einfloss und sicher in französischsprachigen Ohren wie ein Fallbeil klang. Oder Frau Turtelboom, die mit "law and order" eingreifen wollte, ohne zuvor das Gerüst zu erneuern. Koen Geens hat größere Chancen: Als ein älterer Konservativer ist es für ihn einfacher, anders als für einen Linken, nicht in den Verdacht zu großer Milde zu geraten.