Für die breite Öffentlichkeit beginnt die Geschichte am 20. Februar. An diesem Tag sorgt ein besonders grausames Verbrechen für Entsetzen.
Im Eingangsbereich des Delhaize-Supermarkts von Antwerpen wird die 52-jährige Marina Tijssen angegriffen. Die Frau arbeitet als Reinigungskraft in dem Geschäft. Ein Unbekannter übergießt sie mit einer Säure.
Marina Tijssen trägt schwere Verätzungen an den Armen und vor allem im Gesicht davon. Einen Moment lang schwebte sie in Lebensgefahr, immer noch bangen die Ärzte um ihr Augenlicht. Sie wird in jedem Fall auf ewig gezeichnet sein.
Im Fahrwasser dieser grausigen Geschichte wird bekannt, dass Delhaize seit einiger Zeit Erpresserbriefe bekommen hatte, in denen ein Unbekannter genau solche Taten angedroht hatte. Er forderte Geld von Delhaize, ansonsten würde er Kunden mit Säure attackieren, hieß es in den E-Mails.
Das Unternehmen hatte aber sofort die Polizei eingeschaltet. Daraufhin hatte man versucht, Kontakt zu dem Erpresser herzustellen, um ihn bei der Gelegenheit zu überführen. Der Täter hatte sich aber äußerst geschickt verhalten und seine Spuren ziemlich professionell verwischt.
Sofort nach dem Säureattentat von Antwerpen werden Fahndungsfotos veröffentlicht. Und, siehe da: Die Ermittler bekommen wertvolle Hinweise, die es auch endlich ermöglichen, den Mann zu identifizieren. Am Abend des 5. März geht er der französischen Polizei in der Nähe von Paris bei einer Routinekontrolle ins Netz. Die belgische Justiz stellt umgehend einen Auslieferungsantrag.
Das Ganze geht ziemlich schnell, am Dienstag wird der Verdächtige den belgischen Behörden überstellt. Es handelt sich um einen 42-jährigen Niederländer, der ursprünglich aus Amsterdam kommt. Der Mann ist offenbar studierter Jurist.
Gleich nach seiner Auslieferung wird er den belgischen Justizbehörden vorgeführt. Zunächst macht er von seinem Schweigerecht Gebrauch. Bei einem neuen, bohrenden Verhör wird er dann aber mit den Beweisstücken konfrontiert. Und die sprechen anscheinend eine doch deutliche Sprache. Sein Mandant habe ein Teilgeständnis abgelegt, sagt sein Anwalt im Anschluss an das Verhör.
Teilgeständnis heißt: Der Verdächtige gibt zu, die Supermarktkette Delhaize erpresst zu haben. Mit den Säureattentaten will er aber nichts zu tun gehabt haben. Das bestätigte auch Ine Van Wymersch, die Sprecherin der Brüsseler Staatsanwaltschaft, in der VRT.
Schlagende Beweise
Nach Informationen der Zeitung Het Laatste Nieuws ist die Beweislast ziemlich erdrückend. So hat man anscheinend im Wagen des Verdächtigen nach seiner Festnahme Prepaid-Karten gefunden, genau diese Handynummern habe der Erpresser bei seinen diversen Telefon-Kontakten benutzt.
Doch anscheinend verfügen die Ermittler auch über schlagende Beweise im Zusammenhang mit dem Säureattentat auf Marina Tijssen. Im Grunde sei es so, dass der Verdächtige auch diese Tat im Grunde gar nicht leugnen könne. Als die Untersuchungsrichterin ihre Karten auf den Tisch legte, habe sein Anwalt aber eine Unterbrechung des Verhörs beantragt.
Der Rechtsbeistand fordert jetzt, dass zunächst der Geisteszustand seines Mandanten untersucht werde. Der Mann hat offensichtlich einen ziemlich verwirrten Eindruck gemacht und steht spätestens seit seiner Festnahme in Frankreich auch unter Medikamenten. Deswegen müsse überprüft werden, inwieweit diese Präparate den Geist seines Mandanten beeinflussten, wird sein Rechtsbeistand zitiert. Der Verdächtige jedenfalls behauptet weiter steif und fest, dass er nicht der Säureattentäter sei, sondern, "ein anderer".
Ungeachtet dessen geht die Staatsanwaltschaft aber weiter davon aus, dass man den richtigen Mann gefasst hat. Die Familie von Marina Tijssen, dem Opfer des Säureattentäters, reagierte in jedem Fall erleichtert auf die Festnahme und Auslieferung des Verdächtigen. Jetzt wolle Marina nur noch wissen, warum er das getan hat, sagt ihr Anwalt in Het Laatste Nieuws. Warum hat er einer wehrlosen Frau so große Schmerzen zugefügt? Diese Frage gehe seiner Mandantin nicht aus dem Kopf, so der Anwalt.
Die Brüsseler Justiz verhängte Haftbefehl gegen den 42-Jährigen. Er sitzt im Moment in der Haftanstalt von Saint-Gilles. Am Freitag entscheidet die Ratskammer über eine mögliche Verlängerung der U-Haft.
vrt/sh - Bild: Dirk Waem (belga)