Die Organisation "Sharia4Belgium" ist eine terroristische Gruppierung. Zu diesem Urteil ist das Strafgericht Antwerpen in dem Prozess gegen Mitglieder und Anhänger der inzwischen verbotenen Organisation gekommen.
Es war der größte Terrorismusprozess, den das Land je gesehen hat. Insgesamt wurden 44 der 46 Angeklagten für schuldig befunden. Die meisten erhielten Haftstrafen zwischen fünf und 15 Jahren. Allerdings nahmen an dem Prozess nur acht Angeklagte teil. Neun sollen inzwischen ums Leben gekommen sein, die meisten anderen werden noch in Syrien vermutet.
Der Hauptangeklagte Fouad Belkacem wurde zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Der inzwischen 32-Jährige hatte zahlreiche junge Männer für den Kampfeinsatz in Syrien rekrutiert. Zu ihnen gehörte auch Jejoen Bontinck, der in dem Prozess zugleich als Angeklagter, Opfer und Kronzeuge auftrat. Gegen ihn verhängte das Gericht 40 Monate Haft auf Bewährung.
Die Urteilsverkündung wurde von zahlreichen ausländischen Journalisten verfolgt, weltweit berichten Medien über den größten Terrorismusprozess in Europa.
Hintergrund
Sharia4Belgium hatte wohl so mancher erstmal unterschätzt. Zunächst ging die Truppe um den ehemaligen Autoverkäufer Belkacem oft nur als ein loser Haufen von Witzfiguren durch, die sich darin gefielen, dem Westen und insbesondere Belgien mit markigen Worten zu drohen. Da wurden dann Stilblüten produziert wie: "Entweder, ihr akzeptiert die Sharia, oder ihr müsst eben zum Nordpol umziehen". Ihre Pressekonferenzen hielt die Organisation mitunter in einer schäbigen Pizzeria in Antwerpen ab.
Mit der Zeit wurde Sharia4Belgium aber immer fanatischer, immer radikaler, immer militanter. Aus den vermeintlichen Clowns wurde eine Gefahr. Belkacem landete 2012 wegen Volksverhetzung und Anstiftung zu Hass und Gewalt gegen Nicht-Muslime im Gefängnis. Wenig später, noch bevor ein Verbot ausgesprochen werden konnte, löste sich Sharia4Belgium selbst auf.
Das Phänomen der Syrienkämpfer rückte die Organisation dann aber plötzlich in ein komplett neues Licht. Belgien stellte von Beginn an eine der größten Gruppen von Kämpfern, die in den angeblich "Heiligen Krieg" gezogen waren. Und es stellte sich heraus, dass viele von ihnen aus dem Universum von Sharia4Belgium stammten.
Viele frühere Mitglieder sind bis heute in Syrien oder im Kampf gefallen. Das ist denn auch der Grund, weswegen die Anklagebank vor dem Strafgericht in Antwerpen ziemlich leer war: Nur rund zehn der 46 Beschuldigten haben dem Prozess beigewohnt.
Für die Anklage war klar: Belkacem und seine Mitstreiter haben junge Leute gezielt radikalisiert, sie einer Gehirnwäsche unterzogen, Hass, Gewalt und Dschihadismus gepredigt. Mit dem Ergebnis, dass Dutzende von ihnen nach Syrien in den Krieg gezogen sind. Allein das mache aus Sharia4Belgium eine terroristische Vereinigung.
Die Verteidigung machte geltend, dass es keinen Beweis gebe, dass die Organisation einen Anschlag vorbereitet habe. Allein die Tatsache, dass junge Männer in den Krieg ziehen, erlaube nicht die Bezeichnung "terroristisch". Das Gericht hat anders entschieden: Sharia4Belgium wurde als terroristische Vereinigung eingestuft.
Man müsse dafür nicht erst Anschläge verübt haben, die alleinige Absicht, irgendwann ein Attentat zu verüben, reiche völlig aus. Ziel der Organisation sei es gewesen, ein totalitäres Regime durchzusetzen. Hinzu komme die systematische Indoktrinierung von Jugendlichen, die Sharia4Belgium nicht nur für den Dschihad begeistert, sondern auch deren Reise in das Kriegsgebiet organisiert habe.
Entsprechend fiel auch das Strafmaß aus: Fouad Belkacem, Gründer und Chefideologe von Sharia4Belgium, muss für zwölf Jahre ins Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft hatte 15 Jahre gefordert. Auch die zweite Schlüsselfigur in dem Verfahren kam mit einer milderen Strafe davon: der 20-jährige Jejoen Bontinck. Er trat gleichzeitig in drei verschiedenen Rollen auf. Als Täter, weil er aktives Mitglied von Sharia4Belgium war. Aber auch als potentielles Opfer: Bontinck gab an, nur aufgrund der Gehirnwäsche Belkacems nach Syrien in den Krieg gezogen zu sein.
Und hier deutet sich schon seine dritte Rolle an: Jejoen Bontinck war auch der Kronzeuge, der den Ermittlern und dem Gericht Innenansichten aus der Organisation lieferte. Die Staatsanwaltschaft hatte dennoch vier Jahre Gefängnis gefordert, das Gericht entschied jetzt auf 40 Monate auf Bewährung. Insgesamt wurden 44 der 46 Angeklagten für schuldig befunden.
vrt/rop/alk/mh/sh/km - Bild: Dirk Waem/BELGA