Überall im Land werden Veranstaltungen und Ausstellungen abgesagt aus Furcht vor einer möglichen Attacke. Zugleich wollen Politiker die Sicherheitsschrauben noch weiter anziehen, manchmal auf Kosten der bisherigen Freiheiten und Datenschutzrichtlinien.
"The only thing we have to fear is fear itself". Es gibt nur eine Sache, die die wir fürchten müssen, nämlich die Furcht selbst. Dieser Satz stammt aus dem Jahr 1933. Der damalige US-Präsident Franklin D. Roosevelt hat ihn bei seinem Amtsantritt ausgesprochen.
Viele berühmte Zitate werden in diesen Tagen bemüht, ob nun von Voltaire oder von Benjamin Franklin. Irgendwie ist es wie das Pfeifen im dunklen Keller. Man hofft vielleicht, dass die Mahnungen und Weisheiten großer Denker oder Staatsmänner aus vergangenen Zeiten – man kann fast sagen - "die Erlösung" bringen. Die Angst vor der Angst, sie ist jedenfalls nicht unberechtigt. Das zeigt sich in diesen Tagen in Belgien.
Man schaukelt sich hoch: Soldaten in den Straßen, erst nur in Antwerpen und Brüssel, dann plötzlich auch in Lüttich und Verviers. Die Bürgermeister von Antwerpen und Brüssel, De Wever und Mayeur, warnen davor, dass ein Anschlag in ihrer Stadt nur eine Frage der Zeit ist. Die Polizei will keine stationären Alkoholkontrollen mehr durchführen, im flämischen Destelbergen will sie sogar nicht mehr Schülern über die Straße helfen, um nicht ein Terrorziel abzugeben. Ausstellungen und Filmfestivals werden bis auf weiteres geschlossen. Eine Schule aus Halle sagte sogar eine Klassenfahrt nach Brüssel ab.
Das Fazit der Terroristen könnte jedenfalls lauten: "Guckt mal, der Anschlag muss nicht einmal gelingen, damit wir unser Ziel erreichen."
Der Psychologe spricht hier von "irrationalen Ängsten". Die Wahrscheinlichkeit, in Belgien bei einem Anschlag von Dschihadisten sein Leben zu verlieren, ist verschwindend gering. Jeder, der sich ans Steuer setzt und ein paar Meter mit dem Wagen fährt, der ist da statistisch betrachtet deutlich gefährdeter. Das Problem mit irrationalen Ängsten ist aber, dass sie eben irrational sind. Sie gehorchen nicht der Vernunft und können auch nicht von ihr gebändigt werden.
Jede Regierung muss quasi darauf eingehen. Ansonsten ist der Rest ihrer Glaubwürdigkeit futsch. Und klar: Es versteht sich auch von selbst, dass man so genannte "sensible Einrichtungen" schützen muss: insbesondere Symbole des Staates, seien es Gebäude, seien es Vertreter der Staatsgewalt, sprich Polizisten.
Das Ganze darf nur nicht – wie hierzulande geschehen - in das ausarten, was der Flame "Stichflammenpolitik" nennt. Heute haut man eine Maßnahme raus, morgen schon wieder eine andere. Das Ganze scheinbar ungeordnet, scheinbar unkoordiniert, scheinbar kopflos. Panikfußball, mit der Betonung auf "Panik"...
Und bei aller Wachsamkeit, die man von den Behörden erwartet, sollte man auch nicht seinen eigenen kritischen Geist abschalten. So mancher politisch Verantwortliche mag in solchen Krisensituationen nämlich eine Chance wittern, mit einem Mal all die Entscheidungen durchzudrücken, von denen er schon lange geträumt hat. Der N-VA-Innenminister Jan Jambon steht im Moment im Verdacht, genau aus diesem Holz zu sein. Er will – notfalls sogar im europäischen Alleingang - Passagierdaten erfassen: Wer fliegt wann wohin. Wenn nicht noch registriert wird, was er so essen will. Datenschutz lässt grüßen.
Jambon will zudem die rechtliche Möglichkeit schaffen, mutmaßlichen Dschihadisten, die über die doppelte Staatsangehörigkeit verfügen, die belgische Nationalität abzuerkennen. Auch über diese Maßnahmen kann man nicht nur, man muss darüber diskutieren. Staatsangehörigkeit ist Staatsangehörigkeit; indem man pauschal einer ganzen Bevölkerungsgruppe zu verstehen gibt, dass sie nur Belgier auf Bewährung sind, löst man kein Problem, man schafft nur neue.
Seine Koalitionspartner hat Jambon mit seinem Anti-Terror-Aktivismus jedenfalls anscheinend schonmal überfahren, darauf bauend, dass es niemand wagen würde, keine 24 Stunden nach der Anti-Terror-Operation von Verviers Gegenmaßnahmen aufgrund komplex prinzipieller Einwände vom Tisch zu fegen. OpenVLD und CD&V haben jedenfalls - kaum war die Tinte unter den Beschlüssen trocken - schon Bauchschmerzen angemeldet. Doch, wie man die N-VA kennt, dürfte die jetzt einfach nur erwidern: "Beste vrienden: Das hättet Ihr Euch früher überlegen müssen."
Ja, wir sollten wachsam sein, doppelt wachsam. Der Staat muss die Bürger und die Symbole des Staates schützen, das allerdings maßvoll und geordnet. Und die Bürger müssen aufpassen, dass sie sich nicht von ihrer irrationalen Angst leiten lassen und über Nacht ihre Freiheit und den Schutz ihres Privatlebens eintauschen gegen eine angebliche Sicherheit, von der selbst die Politiker sagen, dass sie hundertprozentig niemals sein wird.
Karikatur: Valentine Lilien