Den beiden Zeitungen Le Soir und De Standaard legt Charles Michel die Leitlinien seiner Politik dar: neue Arbeitsplätze schaffen, den sozialen Zusammenhalt fördern und ein neues Verhältnis schaffen zwischen dem Staat und den Bürgern. Für Gemeinschaftspolitisches gebe es in den kommenden Jahren keinen Platz. Das hätten die vier Parteien klar und deutlich vereinbart – auch die N?VA werde sich daran halten.
Im Fokus stünden stattdessen die Themenbereiche Soziales und Wirtschaft. Von einer weiteren Staatsreform werde in den nächsten Jahren keine Rede sein. Charles Michel hofft in diesem Zusammenhang, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber die Tradition des Sozialen Dialogs und der Konzertierung nicht aufgeben und lädt die Partner zu gemeinsamen Gesprächen ein. Außerdem erklärt Michel in dem Interview, dass er es war, der Bart De Wever gebeten hat, auf das Premierministeramt zu verzichten. Auf frankophoner Seite wäre nämlich mit einem flämischen Nationalisten als Regierungschef ein völlig falsches Bild entstanden. Das sei nicht zu verkaufen gewesen – meint Michel.
Außerdem verteidigt er die Ressorts seiner MR, die die französischsprachige Opposition als zu leicht kritisiert hatte. Die frankophonen Liberalen lieferten den Premier, den Außenminister sowie das Schlüsselressort Haushalt. Zudem seien sie zuständig für Energie, Verkehr und den Mittelstand. Kritik der Opposition sei etwas ganz Normales, aber die Geschütze, die PS und CDH auffahren, seien unwürdig, zutiefst beleidigend und eine Art Aufruf zum Hass, so Charles Michel.
Jan Jambon, der neue Innenminister von der N-VA, hatte gleich in seinem ersten Interview einen Sturm der Entrüstung losgetreten. Frankophone Zeitungen hatten den Politiker mit alten Fotos konfrontiert. Sie zeigen Jambon 2001 - zu einem Zeitpunkt als es die N-VA noch nicht gab, auf der Jubiläumsfeier des Sint-Maartensfonds, einem Zusammenschluss von ehemaligen flämischen Ostblocksoldaten. Wie Jambon zur Kollaboration stehe, wollten die Blätter wissen. Die Zusammenarbeit mit den Nazis sei ein Fehler gewesen, erklärte Jambon daraufhin. Allerdings sei man nachher immer schlauer. Die Menschen, die mit den Deutschen kollaboriert haben, hätten ihre Gründe gehabt. Dieser Satz ist es, der für Empörung gesorgt hat - angefeuert von den französischsprachigen Oppositionsparteien. Die FDF forderte gar den Rücktritt des frisch gebackenen Innenministers.
Der Risikofaktor N-VA ist groß, befürchten die Kritiker. Der neue Regierungschef Charles Michel verspricht, seine Koalitionspartner und insbesondere die flämischen Nationalisten im Auge zu behalten. Natürlich dürfe jeder eigene Schwerpunkte setzen, als Grundlage müsse aber immer der Koalitionsvertrag dienen. Und so werde es bis zum Ende der Legislaturperiode eben kein Gerangel um eine weitere Staatsreform geben und auch keine gemeinschaftspolitischen Auseinandersetzungen. N-VA, CD&V, OpenVLD und MR hätten sich jedoch auf eine institutionelle Pause verständigt und darauf, dass jeder der vier Koalitionspartner die Pause auch einhält.
Kein Staatsreform, dafür aber soziale und wirtschaftliche Reformen. Der Bereich hat für die neue Föderalregierung oberste Priorität. Das Ziel lautet: neue Arbeitsplätze schaffen und dem sei alles untergeordnet. So sollen die Senkung der Lohnkosten und der Indexsprung den Unternehmen Sauerstoff geben und sie wettbewerbsfähiger machen. Anders als die Vorgängerregierungen habe die Schwedische Koalition klare Entscheidungen getroffen und werde Reformen auf den Weg bringen, um die Wirtschaft anzukurbeln und die Sozialsysteme zukunftsfähig zu machen, sagte Michel bei Bel RTL. Jeden Monat würden in Belgien 10.000 Menschen in Rente gehen, da müsse es einem doch einleuchten, dass Reformen notwendig sind.
Auch wenn sie sich bereits viel Ärger eingehandelt hat, ohne Konzertierung mit den Sozialpartnern will die neue Regierung nicht die Arbeit aufnehmen. Kommende Woche will der neue Premierminister Gewerkschaften und Arbeitgeber zu sich einladen.
Am Dienstagnachmittag tritt der neue Premierminister vor das Parlament und legt seine erste Regierungserklärung ab.
Empörung über Äußerungen von N-VA-Vizepremier Jambon
Bild: Eric Lalmand (belga)
Eine ästhetische Frage: Wieso werden Politiker immer mehr wie Fim- oder Rockstars medial inszeniert? Gehören sie auch zur Belustigungs- und Unterhaltungsindustrie? Infotainment oblige?