"Ich kenne ihn natürlich als den Sohn von Louis Michel", sagte Altpremier Guy Verhofstadt im Jahr 2007, als Charles Michel in der Regierung Verhofstadt III der Staatssekretär für Entwicklungszusammenarbeit wurde. Ja, stimmt: Charles, das ist der Sohn von Louis. Inzwischen hat er sich aber längst einen eigenen Namen gemacht; der Verweis auf seinen Vater ist allenfalls noch eine Fußnote.
Und auch charakterlich sei der Sohn nicht so ganz nach dem Vater geschlagen, glaubt Verhofstadt erkannt zu haben. Louis Michel sei eher für seine dramatischen Auftritte bekannt gewesen, Charles komme da deutlich nüchterner daher. Das hat Verhofstadt noch vornehm ausgedrückt. Louis Michel zeigt doch deutliche Züge eines Cholerikers, Charles hingegen gilt allgemein als diskret.
"Auf den ersten Blick mag das durchaus stimmen", sagt Valentine Delwart, Generalsekretärin der MR und langjährige Vertraute von Charles Michel. Hinter diesem reservierten Äußeren verstecke sich aber eine warmherzige Persönlichkeit.
Vergleicht man Charles Michel mit seinem Vater, dann mag man das gerne glauben: so bärbeißig und barsch Louis wirkt, so feingeistig und subtil kommt Charles herüber. Vater Louis hat aber mindestens dafür gesorgt, dass seinem Erstgeborenen, dem kleinen Charles, die Politik quasi in die Wiege gelegt wurde.
Diese Wiege stand in Jodoigne in Wallonisch-Brabant, sozusagen dem Stammsitz des Michel-Clans. Charles Michel wurde am 21. Dezember 1975 in Namur geboren. Er studierte Rechtswissenschaften an der Freien Universität Brüssel und in Amsterdam. Aber schon während seines Studiums zog es ihn in die Politik. Gerade 18 Jahre alt wird Charles Michel 1994 Provinzabgeordneter in der Provinz Wallonisch-Brabant.
Kaum war sein Studium abgeschlossen, da begann seiner steiler Aufstieg: Im Jahr 2000 wird Charles Michel wallonischer Innenminister - mit gerade einmal 24. Wer ihn da noch als den jungen "Sohn von Louis" sehen wollte, der sah sich schnell getäuscht. Michel versuchte im undurchsichtigen Universum der wallonischen Gemeinden und Interkommunalen Ordnung zu schaffen und er scheute dabei nicht den Konflikt mit den alteingesessenen Platzhirschen, insbesondere mit dem damaligen wallonischen PS-Ministerpräsidenten Jean-Claude Van Cauwenberghe. Hinter vorgehaltener Hand heißt es sogar, die PS habe die MR 2004 unter anderem deshalb in die Opposition geschickt, weil der junge Charles Michel den Sozialisten - salopp gesagt - auf den Zeiger gegangen ist.
Danach wird es erstmal etwa stiller um Charles Michel. 2006 wird er Bürgermeister von Wavre, südlich von Brüssel, wohin er inzwischen umgezogen war. Daneben ist er bis 2011 Föderalminister für Entwicklungszusammenarbeit. Sein Hauptaugenmerk liegt aber vor allem auf seiner Partei, der MR. Charles Michel schwingt sich zum Anführer einer Rebellion gegen Parteichef Didier Reynders auf. Im Januar 2011 entthront er Reynders - spätestens von da an ist die Feindschaft zwischen Michel und Reynders geradezu legendär.
Es ist Charles Michel, der die MR durch die 541-Tage-Krise führen muss. Es ist Charles Michel, der für die Sechste Staatsreform und insbesondere die Spaltung des Wahl- und Gerichtsbezirkes BHV den Bruch mit dem Kartell-Partner FDF in Kauf nimmt. Und es ist Charles Michel, der seine Partei in einer Koalition platziert, die man zu Beginn liebevoll "Kamikaze-Koalition" genannt hat.
Das passe aber zu seinem Charakterprofil, sagt seine Vertraute, Valentine Delwart. Charles Michel sei berechnend, wäge eine Situation erst sorgfältig ab. Wenn er dann aber einen Entschluss gefasst habe, dann stürze er sich entschlossen in eine Unternehmung.
Risikobereit ist Charles Michel ohne Zweifel. In dieser Schwedischen Koalition pokert die MR besonders hoch, eben weil die MR auf frankophoner Seite der einzige Partner ist. Und jetzt stellen die frankophonen Liberalen mit Charles Michel auch noch den Premier. Wer vor 6 Monaten ein solches Szenario in den Raum gestellt hätte, es hätte ihm wohl niemand geglaubt. Seinen Vater Louis hat er jedenfalls schon jetzt in den Schatten gestellt.
Bild: Michel Maeterlinck/Belga