Mit dem Fall wird Belgien erneut das Weltinteresse auf sich ziehen - und für negative Schlagzeilen sorgen: Zum ersten Mal hat das Justizministerium jetzt zugestimmt, dass ein psychisch gestörter Häftling aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen darf. Der Mann leidet nach Ansicht von Experten an einer unheilbaren psychischen Störung.
Weil es hierzulande aber kaum Spezialeinrichtungen gibt, sitzt der verurteilte Straftäter seit 30 Jahren in einer gewöhnlichen Zelle ein. Kritiker befürchten, dass durch diesen speziellen Fall von Euthanasie durch die Hintertür eine Art „Todesstrafe" wieder eingeführt werden könnte.
Häftling bittet um Sterbehilfe
Die Geschichte beginnt Ende der 1980er Jahre: Frank Van Den Bleeken muss sich wegen mehrerer Sexualstraftaten und Mordes an einer jungen Frau vor Gericht verantworten. Schon damals stellten die Richter fest: Van Den Bleeken ist unzurechnungsfähig, er leidet an einer psychischen Störung und muss deshalb eingewiesen werden. Allerdings gibt es hierzulande kaum Spezialeinrichtungen für solche Straftäter, der Mann kommt stattdessen ins Gefängnis von Merksplas bei Antwerpen - in eine ganz gewöhnliche Zelle.
Der Häftling selbst hat den Eindruck, seit 30 Jahren im Gefängnis zu verkommen. Er werde nie wieder gesund, sagt er im vergangenen Jahr in einem Fernsehinterview mit der VRT. Bereits 2011 hatte er deshalb einen Antrag auf aktive Sterbehilfe gestellt. "Es macht doch kein Sinn, mich hier weiter wegzusperren. Stimmen Sie meiner Euthanasie zu", so die Bitte des Häftlings.
Wim Distelmas, Belgiens bekanntester Experte in Sachen aktive Sterbehilfe, hat sich lange mit dem Fall beschäftigt. Auch er bescheinigt dem Straftäter eine unheilbare psychische Störung. Den Mann werde man zwar sein ganzes Leben einsperren müssen, allerdings meint er: "Nicht alle therapeutischen Maßnahmen wurden in Erwägung gezogen. So hätte man Van Den Bleeken in den Niederlanden sehr wohl helfen können. Dort gibt es spezialisierte Einrichtungen, die sogenannte palliative Psychiatrie."
Das Justizministerium habe der Verlegung Van Den Bleekes in die Niederlandes seinerzeit aber abgelehnt. Deswegen habe er das Gerichtsverfahren aufgenommen, um die aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu können. "Das Schlimmste", sagt Distelmans, "ist der Umgang Belgiens mit seinen Internierten." Bereits mehrmals sei das Land deswegen von der Europäischen Union verurteilt worden, geändert habe sich aber nichts.
"Wir müssen den Internierten einen menschenwürdigen Umgang anbieten können", sagt der Psychiater. "Was ist die Alternative? Sollen wir jetzt etwa allen psychisch Gestörten im Gefängnis Sterbehilfe anbieten, nur weil wir nicht in der Lage sind, uns vernünftig um sie zu kümmern?" Er selbst könne den Schritt jedenfalls aus ethischen Gründen nicht vornehmen und habe den Fall deshalb Ende letzten Jahres abgegeben.
Einführung einer Art "Todesstrafe"?
15 weitere Internierte sollen bereits einen ähnlichen Antrag gestellt haben. Der Sterbehilfe-Experte befürchtet jetzt einen Missbrauch des Gesetzes. Ohne es zu wollen, könnte Belgien durch die Hintertür eine Art Todesstrafe wieder einführen, die sie vor Jahrzehnten abgeschafft hatte.
Im Fall Van Den Bleeke haben drei Psychiater dem Mann unabhängig voneinander eine unheilbare psychische Erkrankung attestiert. Das Justizministerium hat dem Antrag auf aktive Sterbehilfe also zugestimmt, das Berufungsgericht von Brüssel hat die Entscheidung am Montag beurkundet. Belgien sorgt damit für eine weltweite Premiere: Zwar wurde bereits aktive Sterbehilfe für unheilbar kranke Häftlinge zugestimmt, aber noch nie für einen psychisch gestörten Straftäter.
Sollte Frank Van Den Bleeke einen Arzt und ein Krankenhaus finden, die bereit sind, ihm die Euthanasie zu gewähren, dann darf er das Gefängnis für 48 Stunden verlassen - damit der Abschied von seiner Familie so menschenwürdig wie möglich über die Bühne gehen kann. Angesichts der Brisanz des Falles dürfte sich die Suche nach einem Krankenhaus allerdings schwierig gestalten, meinen die Fachleute.
Zum Umgang des belgischen Justizwesens mit psychisch Gestörten meint Distelmans: "Den Zivilisationsgrad einer Gesellschaft kann man daran messen, wie sie mit den Schwächsten - in diesem Fall also mit Internierten - umgeht. Die Bilanz fällt wohl äußerst schlecht aus."
Archivbild (2013): Virginie Lefour (belga)