Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Elektrabel zieht seine Konsequenzen aus dem mutmaßlichen Sabotageakt in Doel. Künftig sollen alle wichtigen Arbeiten an AKW nur noch von Teams aus zwei Mitarbeitern ausgeführt werden.

Ein Sabotageakt in einem Atomkraftwerk... Das klingt nach wie vor wie der Stoff für einen James-Bond-Film. Doch hat sich genau das im Reaktor Doel4 bei Antwerpen offenbar tatsächlich ereignet. Der Meiler wurde abgeschaltet, nachdem das Schmieröl einer Turbine abgelassen worden war. Hier könne es sich nur um einen groben Fehler eines Mitarbeiters oder eben einen absichtlichen Akt handeln, sagen Experten.
Der Stromproduzent Electrabel und die Atomaufsichtsbehörde haben jetzt jedenfalls reagiert und die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. In den Kernkraftwerken von Doel und Tihange werden künftig alle wichtigen Arbeitsschritte nur noch von zwei Mitarbeitern ausgeführt. Vier Augen sehen mehr als zwei. Hier geht es aber um mehr: Zwei Augen können auch dem anderen Augenpaar über die Schultern gucken...
Electrabel und die FANK, die Föderale Agentur für Nuklearkontrolle, reagieren also auf den Vorfall vor einer Woche im Reaktor Doel 4. Der Meiler hatte sich am vergangenen Dienstag automatisch abgeschaltet. Der Grund: ein Tank, der das Schmieröl der enormen Dampfturbine enthält, war leergelaufen. 65.000 Liter Öl, abgelassen in ein Reservoir, das eigentlich zur Auslagerung im Brandfall dient.
Die Dampfturbine, das ist ja der eigentliche Stromproduzent. Wenn hier die Schmierung nicht mehr gewährleistet ist, dann entsteht Reibung, droht eine Überhitzung. Sobald entsprechende Sensoren ausschlagen, schaltet sich der Reaktor aber automatisch ab. Deswegen habe auch zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für Mensch oder Umwelt bestanden, beschwichtigten gleich Electrabel und auch die FANK.
Man staunte allerdings nicht schlecht, als man sich besagten Schmieröltank mal genauer angeschaut hat. Kein technischer Defekt war zu sehen. Anders gesagt: da muss einer buchstäblich den Ölhahn aufgedreht haben. Genau davon geht auch der Betreiber Electrabel aus. Ob mit Vorsatz, nun das müsse sich noch zeigen, sagt Nele Scheerlincks, Sprecherin der Atomaufsichtsbehörde FANK. Es sei aber in jedem Fall nicht hinnehmbar, dass eine einzige Person einen kompletten Atomreaktor lahmlegen könne:
Vorsatz oder nicht, Absicht oder nicht? Das muss noch ermittelt werden. Und dafür muss man erstmal denjenigen ausfindig machen, der den Ölhahn aufgedreht hat. In dieser Sache ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Dendermonde. Nach ersten Untersuchungen können sich zum fraglichen Zeitpunkt höchstens 65 Mitarbeiter in der Nähe der Turbine. Anscheinend kann man die Zahl nochmal auf 20 eingrenzen. Festgestellt werden kann das über die Ermittlung der Zugangsdaten: jeder Bereich kann nur mit Hilfe einer Magnetkarte betreten werden.
Der Punkt sei nur: es gebe noch keinen Gehirnscanner, der es erlaube, Gedanken zu lesen, sagt die Sprecherin der FANK. Prinzipiell müsse man den Mitarbeitern vertrauen. Naja, Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser; deswegen sollen sich die Mitarbeiter jetzt eben gegenseitig kontrollieren: Vier-Augen-Prinzip.
In der Zwischenzeit setzt Electrabel jetzt alle Hebel in Bewegung, um die Dampfturbine wieder flottzumachen. "Wir sind im Moment noch mit der Schadensanalyse beschäftigt", sagt Electrabel-Sprecherin Geetha Keyaert:
Doch schon jetzt ist klar, dass es Schaden gibt und das die Reparatur länger dauern wird. Geplant war, dass Doel 4 schon am kommenden Montag wieder ans Netz geht. Diesen Termin werde man wohl nicht einhalten können, sagt Geetha Keyaert. Jetzt wird Mitte September angepeilt. Doch auch hier werde man sich nicht endgültig festlegen, sagt die Electrabel-Sprecherin. Alles hänge davon ab, wie die Schadensanalyse und die anschließende Reparatur verlaufen:
Bis der Vorfall geklärt ist, dürfte die Atmosphäre in den AKW von Doel und auch in Tihange doch etwas angespannt sein. Alle Beteiligten hoffen auf eine schnelle Aufklärung. Und für Electrabel geht die Pechsträhne weiter. Doel 3 und Tihange 2 sind ja auch schon wegen der ominösen Mikrorisse bis auf weiteres außer Betrieb. Um die Produktionsausfälle auszugleichen, hat Electrabel unter anderem auf das Pumpspeicherkraftwerk von Coo zurückgegriffen; auch das Gaskraftwerk von Drogenbos soll wieder angefahren werden...
Illustrationsbild: Dirk Waem/BELGA