Das - nicht nur politische - Ereignis der auslaufenden Woche war die Nachricht vom Tod von Altpremier Jean-Luc Dehaene. In den 1990er Jahren stand er an der Spitze der Regierung. "Bulldozer" wurde er genannt, auch "Klempner". Selbst sah er sich als "Architekt".
Zu Jean-Luc Dehaene hat die Geschichte der DG nicht den gleichen starken Bezug, wie zu seinen Vorgängern Tindemans oder Martens. Mit dem Satz "Hilf Dir selbst, hilft Dir Gott" ging Tindemans in die ostbelgische Nachkriegsgeschichte ein, Martens war Taufpate bei der Einsetzung des ersten Rates der Deutschen Kulturgemeinschaft, als Beginn der neuen Zeitrechnung.
Und Dehaene? Er konnte jedenfalls etwas für sich in Anspruch nehmen, in Ostbelgien, wo nicht wenige eher einen deutschen Minister in der Tagesschau benennen konnten, als einen Brüsseler Minister: Sein Gesicht und seine Silhouette wurden erkannt. Er verkörperte so etwas wie Stabilität und die Erwartung, "da ist schon jemand, der es richten wird".
Nicht nur in Ostbelgien überdeckte diese Erwartungshaltung, dass es Dehaene war, der nach jeder Staatsreform im Brustton der Überzeugung sagte, es sei nicht die letzte. Und, dass der staatsreformerische Prozess ein kontinuierlicher sei. Ein Leitsatz, auf den sich auch in Eupen der Ministerpräsident bezieht, wenn er ein Belgien zu Viert anstrebt. Dehaene bereitete auch den Weg für diejenigen, die seiner Klempnerarbeit eine Absage erteilen: Genug des Lötens, wir verkürzen radikal die Rohre, mit einem 35-Schlüssel. Frei nach Artikel 35 der Verfassung, der die Möglichkeit eröffnet: "Alles zu den Teilstaaten, der Rest für den Bund". Rief er nun diese Geister, die De Wever heißen oder Ben Weyts und Jan Jambon als seine Leutnants? Vieles spricht dagegen, wie die Erfolge seines Verhandlungsgeschicks - und in den Würdigungen am Donnerstagabend und Freitagmorgen ist dies von vielen Seiten hervorgehoben worden.
Dafür würde die Kaltschnäuzigkeit sprechen, mit der sich Dehaene als Bürgermeister in Vilvoorde am Wahlboykott beteiligte, vor dem Hintergrund der ungelösten BHV-Frage.
Doch da war er bereits auf dem absteigenden Ast. Die erste Kerbe in sein Image als Macher - nicht nur in Ostbelgien sah man ihn so - schlug ein anderer Klempner, aus Marcinelle. Als Dehaene seinen Urlaub nicht abbrach, als der Mädchenmörder das Land an den Rand der Staatskrise führte. Als dann mit Stefaan De Clerck aus dem Nichts das Krisenmanagement und die Trauerarbeit übernahm, kamen auch Zweifel auf, dass Dehaene der einzig mögliche Macher und Krisenmanager sei.
Vor allem aber entstanden Zweifel, ob Dehaenes langjähriges Lötwerk wirklich vor Schäden schützt oder undichte Stellen lediglich überdeckt.
Den Rest gab ihm sein Agrarminister, als er ebenso stupide wie gleichmütig die Dioxinkrise mit den Worten herunterspielte, sie sei im wörtlichen Sinn gegessen. Die Wähler sahen das wenige Wochen später anders.
Exit Dehaene in Richtung Straßburg und Brüssel. Als Europapolitiker erscheint er gleichzeitig wie ein Mann von gestern und wirkt doch gleichzeitig hoch aktuell.
Das muss nicht verwundern: Es ist diese Europäische Union, die Dehaene mitgeschaffen hat. Mit einem großen Unterschied: Als Dehaene die Sparetats in den 1990ern forcierte, war es mit der Verlockung, der Eurozone anzugehören. Jetzt sollen Schuldenbremse und Sparetats vor den Folgen retten, die ein schlecht auf den Weg gebrachter Euro, wenn schon nicht direkt verursacht, so doch befeuert hat.
Was Dehaene dann auch zum Janusgesicht dieser Doppeldekade um die Jahrtausendwende macht, im Guten, wie im Bösen, als zwei Seiten einer Medaille.
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