Jung trifft auf alt, digital auf analog, modern auf mittelalterlich. Die neuen Dienstleister im Web 2.0 sind eben jung, digital, modern. Im Mittelpunkt: das Smartphone, der Zauberstab in der drahtlosen Internet-Welt. Genauer gesagt: eine App. Über diese App werden Menschen zusammengebracht.
Der eine sucht eine Mitfahrgelegenheit, der andere befindet sich gerade mit dem Auto in der Nähe und kann ihn mitnehmen. Die amerikanische Gesellschaft Uber macht nichts anderes, als den Kontakt herzustellen. Einmal gewischt, zweimal aufs Display gedrückt, und schon steht der Wagen da, der einen zum Ziel bringt. "Das nennt man doch eigentlich Taxi", sagt man sich. "In der alten Welt", entgegnen die Macher. "Jetzt sind wir im Uber-Zeitalter".
Andere Dienstleitung, andere App. Der eine sucht eine Übernachtungsmöglichkeit, der andere hat gerade das Gästezimmer frei. Airbnb oder Couchsurfing übernehmen den Rest. Auch hier stellen sie lediglich den Kontakt her. "Das nennt man doch eigentlich Hotel oder Fremdenzimmer", sagt man sich. "In der alten Welt", entgegnen die Macher. "Jetzt sind wir im Airbnb-Zeitalter".
Privatleute kutschieren Privatleute, Privatleute stellen Privatleuten ihr Gästezimmer zur Verfügung. So einfach kann es sein. Das Ganze freilich gegen Bezahlung, allerdings viel günstiger als die angestammten Taxi- oder Hotelbetriebe.
Klar, dass das die jeweiligen Branchen mächtig aufmischt.
In Brüssel sind die Taxi-Gesellschaften auf die Barrikaden gegangen und verklagten den Eindringling Uber. Auch Airbnb und Couchsurfing sind ins Fadenkreuz geraten: Die flämischen Tourismusbehörden verlangen von den Vermietern von Privatzimmern, dass sie ihre Aktivität anmelden. Damit verbunden etwa auch die Auflage, sich an Brandschutzvorschriften zu halten.
Im Brüsseler Taxi-Krieg haben die Taxi-Gesellschaften sogar einen spektakulären Erfolg erzielt. Das Brüsseler Handelsgericht gab ihnen Recht: Uber muss seine Aktivitäten einstellen. Das wiederum rief die EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes auf den Plan, die die Brüsseler Justiz gleich als "rückständig", gar "mittelalterlich" abstempelte.
Neelie Kroes hat damit allerdings mit einem Wurf gleich alle Scheiben des Glashauses zerdeppert, in dem sie gerade sitzt.
Zugegeben: Aus Sicht der Verbraucher mag Kroes vordergründig Recht haben. Wer von A nach B gebracht werden will, wer irgendwo übernachten will, dem kommt eine größtmögliche Auswahl doch nur entgegen. Und wenn neue Ideen alte Strukturen entkrusten, umso besser - Konkurrenz belebt eben das Geschäft.
Doch darf das kein Freibrief für Anarchie sein. Uber und Airbnb bewegen sich quasi in einem rechtsfreien Raum. Jemand, der Menschen gewerblich transportiert oder unterbringt, der muss sich unzähligen Regeln unterwerfen, dafür mitunter Geld investieren. Wie müssen denn die klassischen Dienstleister wohl aus der Wäsche gucken, wenn plötzlich eine Hand voll Neunmalklugen ankommt, die meinen, sich einfach außerhalb dieses engen Regelkorsetts bewegen zu dürfen? Davon abgesehen, dass zumindest der Verdacht naheliegt, dass so mancher der privaten Dienstleister seine Bezahlung an der Steuer vorbei kassiert.
Und ausgerechnet die Behörde, die für ihre Regulierungswut berühmt berüchtigt ist, in Person von EU-Kommissarin Neelie Kroes, ausgerechnet die bricht eine Lanze für eine rechtliche Grauzone? Verstehe wer will.
Klar, es zieht sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte: Wenn neue Ideen alte Strukturen aufmischen, dann sind sehr schnell Argumente außen vor, dann geht es meist nur noch um Emotionen. Und die Geschichte zeigt auch: Man kann den Fortschritt nicht aufhalten. Das Auto hat am Ende trotz aller Unkenrufe und Pseudoargumente doch die Kutsche ersetzt. Aber nicht alle neuen Wege führen automatisch, quasi von Natur aus, in die richtige Richtung.
Zäumen wir einmal den Gaul von hinten auf: Warum wohl gibt es Regeln? Vielleicht, weil sie sich als nötig erwiesen haben? Regeln sind - zumal in Belgien - oft nur die Reaktion auf einen Missstand und zugleich eine Antwort auf eine entsprechende gesellschaftliche Nachfrage. Konkret: Wenn es ein Problem gibt, dann folgt dem quasi postwendend der Ruf nach staatlicher Regulierung.
Die Sache wird deutlicher, wenn man sich vor Augen hält, dass die Dienstleistung 2.0 inzwischen auch die Gastronomie erreicht hat. Der eine isst gern, der andere kocht gern: Warum nicht auch diese beiden Menschen zusammenbringen? Es gibt schon Internetangebote, die genau das tun. Frage nur: Was passiert, wenn sich der "Kunde" eine Lebensmittelvergiftung einfängt? Und wie reagieren wohl gewerbliche Restaurants, die auf Druck der AFSCA ihre Küche mit der Zahnbürste sauber halten müssen?
Prinzipiell ist bestimmt nichts daran auszusetzen, wenn Soziale Netzwerke nicht nur Menschen zusammenbringen, sondern das auch noch dazu führt, dass sie mitunter überflüssige oder ungenutzte Dinge miteinander teilen. Nur sobald das Ganze einen systematischen und damit gewerblichen Charakter bekommt, ist eine Linie überschritten.
Ja, es stimmt: Man kann den Fortschritt nicht aufhalten. Deswegen sind Verbote auch der falsche Weg. Nur müssen schnellstens Regeln her.
Vorsicht: Das ist bestimmt kein Plädoyer für eine bürokratisch durchregulierte und nebenbei repressive Gesellschaft. Eckpfeiler, mehr braucht es ja gar nicht. Hier kann und sollte sich sogar der Gesetzgeber kreativ zeigen. Neue Ideen dürfen nicht im Keim erstickt werden. Sie dürfen aber auch nicht zu Wildwuchs führen.