Fast schon beiläufig ist jetzt bekannt geworden, dass die Regierung die Laufzeit für den Reaktorblock 1 im Kernkraftwerk Tihange offiziell um zehn Jahre verlängert hat. Eigentlich hätte der Meiler im kommenden Jahr vom Netz gehen sollen. Dies sah zumindest das Gesetz von 2003 vor, das den belgischen Atomausstieg besiegelt hatte. Zwar war schon bekannt, dass die Regierung den Stufenplan nicht umsetzen wollte, um die Versorgungssicherheit des Landes nicht zu gefährden. Neu ist aber, dass die Laufzeitverlängerung schon beschlossene Sache ist.
Richtig gescheppert hat es im Plenum der Kammer. Kristof Calvo von den flämischen Grünen legte einen Wutanfall hin, wie ihn das Halbrund länger nicht gesehen hat. Ein Skandal sei das, unfassbar! So gehe es absolut nicht, wetterte Calvo vom Rednerpult. Adressat des verbalen Amoklaufs war Premierminister Elio Di Rupo.
Was war passiert? Nun, der Groen-Abgeordnete hatte sich zunächst über eine Meldung ereifert, die in den letzten Tagen durch die Presse gegeistert war. Quintessenz: Der Fiskus muss Electrabel 285 Millionen Euro an Steuern zurückerstatten. Die Steuerinspektion war zu dem Schluss gekommen, dass die belgischen GDF-Suez-Töchter, darunter Electrabel, einen illegalen Deal mit den Luxemburgischen Steuerbehörden geschlossen hatten. Deswegen brummte man dem französischen Energieriesen eine Buße auf. GDF-Suez zog vor Gericht und gewann. Resultat: Besagte Buße muss dem Betrieb erlassen werden.
Das war also der Stein des Anstoßes für Kristof Calvo. Er stellte sich die Frage, wie die Regierung denn nun gedenke, mit Electrabel umzugehen. Einem Betrieb, dem man vorwerfe, die Energiepreise in Belgien künstlich aufgebläht zu haben, sagt Calvo. Einem Betrieb, der dennoch die Unverschämtheit besitze, auch noch die Rückzahlung von Steuern zu erstreiten. Und mit einem solchen Unternehmen, mit diesen -Zitat- "Aasgeiern" plane die Regierung ein Abkommen, dass die Laufzeit des steinalten Reaktorblocks Tihange 1 von 1975 verlängere.
Premier Di Rupo tritt ans Rednerpult. Er verweist zunächst auf den Grundsatzbeschluss, der tatsächlich besagt, dass man die Laufzeit von Tihange 1 verlängern will. Hier geht es aus Sicht der Regierung um eine Frage der Versorgungssicherheit: Es gebe noch nicht ausreichend alternative Energiequellen, um auf einen Reaktorblock verzichten zu können, wird die Laufzeitverlängerung begründet.
Auf der Grundlage des entsprechenden neuen Gesetzes habe der zuständige Staatssekretär Melchior Wathelet Verhandlungen mit dem Betreiber geführt, also Electrabel. Diese Verhandlungen seien jetzt abgeschlossen. Und die Konvention sei inzwischen auch unterzeichnet worden, von allen Koalitionspartnern und auch von ihm im Namen der Regierung, so Di Rupo.
Calvo fällt aus allen Wolken. "Wie jetzt?", antwortet der Groen-Abgeordnete, "Sie haben am Parlament vorbei die Konvention unterschrieben. Und das anscheinend schon vor drei Wochen? Eine Entscheidung, an die sich alle kommenden Regierungen zu halten haben? Und wir erfahren das mal eben so beiläufig in der parlamentarischen Fragestunde? In welchem Land leben wir denn?"
Was lernen wir jetzt aus diesem Schlagabtausch? Nun, Tihange 1 bleibt über 2015 hinaus am Netz. Das ist jetzt endgültig beschlossene Sache. Am Stichdatum 2025 als definitives Ende der Kernenergie in Belgien wird aber bis auf weiteres festgehalten. Bis auf weiteres...
Bild: Thierry Roge