Dank komplizierter Systeme, am besten über Steuerparadiese fern der Heimat, bestehen zurzeit in Belgien gute Chancen, dass man trotz Steuerbetrugs nicht zur Kasse gebeten wird, straffrei bleibt und den hinterzogenen Betrag behalten kann - auch wenn die Steuerfahnder den Betrug aufdecken, wie nun ein Fall von Mehrwertsteuerbetrug zeigt.
Gut 20 Millionen Euro hat der Beschuldigte über verzweigte Kanäle mehrere Jahre lang am Fiskus vorbei geschmuggelt. 2002 flog der Fall auf. Zur Sicherheit beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft Immobilien und Fahrzeuge - jetzt wurden sie dem Beschuldigten wieder zurückgegeben. Die 20 Millionen Euro kann er behalten, eine Strafe muss er nicht mehr fürchten.
Denn der Fall ist verjährt, steht in dem Bericht der Brüsseler Staatsanwaltschaft. Insgesamt zehn Fälle listet sie in diesem Papier auf - Fälle von Steuerbetrug in Millionenhöhe, die zwar entdeckt wurden, aber nie abschließend behandelt werden konnten.
Der Grund: "Es fehlt an Mitteln, vor allem an qualifiziertem Personal", wie Generalstaatsanwalt Lucien Nouwnyck erklärt. "Schon im Vorfeld eines möglichen Prozesses benötige man Spezialisten, um den Steuerbetrug feststellen, aufdecken und bearbeiten zu können. Außerdem unabhängige Experten und Untersuchungsrichter, die genügend Zeit haben und sich in der Thematik auskennen." Und danach steht der Prozess an. Auch hier ähnliche Probleme: Man braucht Spezialisten, ein zuständiges Gericht, kompetente Richter, und all das gleiche auch in Berufungsinstanzen.
100 Millionen Euro allein in Brüssel
Landesweit stehen mindestens 560 Fälle kurz davor, zu verjähren und ohne Strafe zu bleiben. Dem Staat sollen dadurch allein in Brüssel angeblich über 100 Millionen Euro durch die Lappen gehen. "Ein Unding", meint Georges Gilkinet (Ecolo). "Über Steuerhinterziehung wird immer viel geredet, aber viel zu wenig dagegen getan. Das ist scheinheilig." Bei der Föderalregierung mache man nichts, um gegen diesen Diebstahl vorzugehen.
Die Lösung liegt in einer besseren Ausstattung der Justiz. Mehr Spezialisten, die sich um die großen Fische des Steuerbetrugs kümmern, könnten zu mehr abgeschlossenen Fällen führen, zu mehr Geld für den Staat, zu weniger Belastung für den braven Bürger, der für die Steuerausfälle mit seinen Abgaben gerade stehen muss.
Aber die Justizministerin Annemie Turtelboom zeigt wenig Bereitschaft, sich ernsthaft um die Sache zu kümmern. Im Rechtsausschuss der Kammer wollte Carl Devlies (CD&V) vor einigen Tagen nähere Auskünfte über die 560 Fälle von Steuerhinterziehung und Geldwäsche bekommen, die von einer Verjährung bedroht sind. Turtelboom wies Auskünfte zurück. Um zum Beispiel den genauen Betrag zu ermitteln, um den es bei den Fällen geht, müsse man die Dossiers einzeln und per Hand durcharbeiten - und dazu fehle einfach die Zeit.
Da kann man sich nur fragen, wie so etwas möglich ist bei all den Millionen Euro, um die es dabei doch geht. "Ich verstehe nicht, warum man sich nicht die Mittel gibt, um gegen die Betrüger vorzugehen, die den Staat und seine Bürger eine Menge Geld kosten", sagt Gilkinet.
Illustrationsbild: Herwig Vergult (belga)