Die Fahrerin, die am Sonntagmittag in Ekeren, im Großraum Antwerpen, einen Unfall hatte, hinterließ buchstäblich eine Schneise der Verwüstung. Der Wagen schleuderte hin und her. Erst fuhr der Wagen eine Fahrradfahrerin an. Einige hundert Meter weiter raste der Wagen in zwei Mountainbiker: Einer von ihnen hat den Aufprall nicht überlebt. Einige hundert Meter weiter donnerte der Wagen in gleich zwei Fahrzeuge, einen PKW und einen Krankenwagen. Die Bilanz am Ende: ein Toter, und sechs zum Teil schwer Verletzte.
Eine Polizeisprecherin hat erstmal nur eine mögliche Erklärung: Denkbar sei, dass die Fahrerin einen epileptischen Anfall oder dergleichen bekommen und deshalb die Kontrolle über ihr Auto verloren habe. Seit diese Möglichkeit im Raum steht, geistert eine Reihe von Fragen durch die Medien. Durfte die Frau überhaupt noch Autofahren? Wie ist das überhaupt geregelt? Bedarf es eines Registers, in dem die Menschen gelistet sind, die unter einer neurologischen Krankheit leiden? Und, breiter gefasst: Was kann man gegen andere Formen von "Kontrollverlust" unternehmen?
Nach ersten Ermittlungsergebnissen wurde der Unfallfahrerin zwischenzeitlich die Fahrerlaubnis entzogen. Das war 2012. Inzwischen durfte sie sich aber wieder ans Steuer setzen. Das entspricht auf den ersten Blick der gängigen Prozedur, sagt Paul Boon, Professor für Neurologie und Präsident der flämischen Liga gegen Epilepsie. Grundvoraussetzung sei in Belgien, dass man ein Jahr lang keinen Anfall mehr bekommen habe. Wenn diese Bedingung erfüllt sei, könne der behandelnde Arzt eine entsprechende Bescheinigung ausstellen. Und damit bekomme der Patient wieder eine Fahrerlaubnis.
In diesem Zusammenhang wies der Neurologie-Professor in der VRT auch noch einmal darauf hin, dass man Epilepsie inzwischen durchaus unter Kontrolle habe. Das Risiko eines Anfalls sei bei angemessener Behandlung sehr klein, aber eben nicht ausgeschlossen. Als Epilepsie-Patient gilt man aus medizinischer Sicht, wenn man in seinem Leben zwei Anfälle gehabt hat. Durch eine gezielte Behandlung kann man das Problem aber in den Griff bekommen.
Paul Boon warnt jedenfalls davor, hier jetzt in Hysterie zu verfallen. Jemandem die Fahrerlaubnis aufgrund medizinischer Probleme zu entziehen, das sei doch schon eine Entscheidung von Tragweite. "Der Führerschein ist ja quasi Grundvoraussetzung in vielen Jobs. "In der Regel werde so etwas also nicht leichtfertig beschlossen.
Schwarze Liste?
Nichtsdestotrotz forderte schon der flämische Automobilclub VAB Konsequenzen aus dem Unfall von Ekeren. Wie die Zeitung La Dernière Heure berichtet, werde da die Forderung nach einem Register laut, in dem alle Menschen gelistet werden sollen, die unter medizinischen Problemen leiden, die zu einem Entzug der Fahrerlaubnis führen könnten.
"Unrealistisch", sagen aber Fachleute. Wenn man so eine Schwarze Liste erstellen will, dann müssten darin auch Leute auftauchen, die etwa unter Herzrhythmusstörungen, Diabetes oder Schlafstörungen leiden, zitiert La Dernière Heure der Vorsitzenden der frankophonen Liga gegen Epilepsie.
Apropos Schlafstörungen: in diesen Tagen hat das Belgische Institut für Straßenverkehrssicherheit, IBSR, auf genau dieses Problem aufmerksam gemacht. Zunächst die Feststellung: Bei 20 bis 30 Prozent aller Verkehrsunfälle ist die Ursache der "Sekundenschlaf": Der Fahrer ist am Steuer weggedämmert oder eingeschlafen. Und, noch eine Zahl: Einer von zehn Belgiern leidet unter akuten Schlafstörungen, die seine Wahrnehmung im Alltag beeinträchtigt. Dieses Problem sei nicht zu unterschätzen, sagt Benoît Godard, Sprecher des IBSR. Beispiel: Wenn jemand seit 17 Stunden auf den Beinen ist, dann hat das auf seinen Körper eine Wirkung wie 0,5 Promille Alkohol im Blut: entsprechend: schlechtere Reflexe, langsamere Reaktionen.
Es soll also buchstäblich ein Weckruf sein: Das IBSR will noch einmal nachdrücklich für das Thema sensibilisieren. Autofahrer sollten sich der Risiken bewusst sein, die durch Übermüdung am Steuer entstehen. Das Fenster öffnen, oder gar Koffein zu sich nehmen, das bringe nur kurzzeitig etwas. Im Zweifel sollte man unbedingt anhalten: Eine kleine Siesta von 15 Minuten reiche völlig aus.
Was den Epilepsie-Fall von Ekeren angeht, so sieht das IBSR übrigens keinen Handlungsbedarf. Die Erstellung einer "Schwarzen Liste" kollidiere schon mit der ärztlichen Schweigepflicht. Davon abgesehen biete die derzeitige Gesetzgebung einen guten Kompromiss zwischen Mobilität und Sicherheit. Ein Fall wie in Ekeren sei einfach nur extrem selten.
Bild: belga