Im belgischen Gesundheitssystem wird zum Teil verschwenderisch vorgegangen, sagt der Gesundheitsökonom Lieven Annemans. Bis zu 15 Prozent der Mittel würden verprasst - vor allem durch übermäßigen Konsum. Stichwort Überbehandlung, sagt Annemans im VRT-Radio. Wenn man Belgien mit anderen Ländern vergleiche, dann gebe es mehr Krankenhausaufnahmen, mehr CT-Untersuchungen und es würden mehr Antibiotika verschrieben. Man führe zu viele Behandlungen beim Patienten durch. Und das habe System, sagt Annemans. Der Grund: Ärzte werden pro Behandlung bezahlt. Manche Mediziner neigten dazu, manchmal unnötige Untersuchungen anzuordnen, um ihren Verdienst zu steigern. Dazu kommt: Das Krankenhaus verdient mit und übt mancherorts sogar Druck auf die Ärzteschaft aus, damit die Mediziner zusätzliche Leistungen buchen.
Auch wir Patienten tragen zur Verschwendung bei. Etwa, wenn wir unnötigerweise die Notaufnahme des Krankenhauses aufsuchen, statt den Hausarzt. Oder, wenn wir mehrere Fachärzte konsultieren, sie aber nicht aufklären, das bereits Untersuchungen gemacht worden sind und die teuren Tests an anderer Stelle erneut gemacht werden. Ärzte, Krankenhäuser, Patienten: Alle würden zur Verschwendung beitragen.
Hinzu kommt: Viele Kliniken stecken in finanziellen Schwierigkeiten, weil sie strukturell zu wenig Mittel vom Staat erhalten. Die Folge: Zu wenig Personal. Und: Patienten werden zu früh nach Hause geschickt. Auch das sorgt für Mehrkosten, weil der Heilungsprozess nicht immer optimal verläuft und im schlimmsten Fall sogar ein zusätzlicher Krankenhausaufenthalt notwendig ist. Der Gesundheitsökonom der Uni Gent rät dazu, das System Bezahlung pro Leistung zu reformieren und es teilweise durch Pauschalen zu ersetzen. Außerdem sollte der Hausarzt künftig eine zentrale Rolle spielen.
Der feste Hausarzt sollte als Begleiter des Patienten fungieren, als der Mediziner mit der Gesamtübersicht. Er könnte zum Beispiel sagen: Sie haben schon zwei Fachärzte aufgesucht. Eine dritte Meinung würde in diesem Fall keinen Sinn machen. Der Hausarzt sollte dabei helfen, dass weniger Geld verprasst wird. So oder so sagt Annemans: Wir werden neue Kompromisse schließen müssen zwischen medizinischer Notwendigkeit, dem hohen Qualitätsstandard und der Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens.
Unter anderem die Vergreisung der Gesellschaft treibe die Kosten in die Höhe. Ändert sich nichts, werden sich die Ausgaben im Gesundheitsbereich bis 2060 verdreifachen - auf knapp 100 Milliarden Euro im Jahr, befürchtet Annemans.
Onkelinx reagiert verärgert
Gesundheitsministerin Laurette Onkelinx hat mit Verärgerung auf ein neues Buch des Genter Universitätsdozenten Lieven Annemans zum belgischen Gesundheitssystem reagiert.
Gesundheitsministerin Laurette Onkelinx wirft dem Gesundheitsökonomen vor, vom elfenbeinernen Turm aus Panikmache zu betreiben. Die PS-Ministerin verweist ihrerseits auf zahlreiche Initiativen, die in den letzten Jahren ergriffen worden seien, um Kosten einzusparen, ohne dass dies auf dem Rücken der Patienten ausgetragen würde.
belga/vrt/mh - Archivbild: Nicolas Lambert (belga)