"Ich weiß nicht, wo ich herkomme. Aber es war ein langer Weg". Das war der erste Satz von Paul Vanden Boeynants in ein Pressemikrophon nach seiner Freilassung. Die Pressekonferenz vom 15. Februar 1989 ist bis heute legendär. Wobei: Für Vanden Boeynants selbst war es, wie er selber sagte, nicht so leicht, sich so kurz, nachdem er die Freiheit wiedererlangt hatte, gleich der Presse zu stellen.
Genau einen Monat zuvor war Paul Vanden Boeynants vor seiner Wohnung von Unbekannten überwältigt und entführt worden. Die Meldung verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Vanden Boeynants, oder, wie er sich auch selbst nannte, VdB, war eine der schillernden Persönlichkeiten des belgischen Öffentlichen Lebens. Der Ur-Brüsseler, der sehr leicht an seinem Akzent als Hauptstädter identifiziert werden konnte, war - vor Elio Di Rupo - der letzte frankophone Premierminister. Zwei Mal war er Regierungschef, einmal Mitte der 1960er Jahre und dann nochmal Ende der 1970er Jahre, für sieben Monate zwischen 1978 und 1979.
Skandale und Affären
Bekannt wurde VDB aber vor allem wegen der vielen Skandale und Affären, die man - zu Recht oder zu Unrecht - mit seinem Namenskürzel verband. Verurteilt wurde er ein Mal, Mitte der 1980er wegen Steuerhinterziehung. Sein Name wurde aber auch im Zusammenhang mit geheimen, anti-kommunistischen Netzwerken, mit heimlichen Sex-Orgien, den sogenannten "Rosa Ballette" und sogar mit den Killern von Brabant in Verbindung gebracht.
Am 14. Januar 1989 wurde er entführt. Später schildert VDB auf seine unvergleichliche Weise die Ereignisse so: "In dem Augenblick, wo ich den Schlüssel ins Schloss stecke, fallen zwei Männer über mich her", sagt" Vanden Boeynants. "Ein auffällig großer Mann und ein kleinerer". Besagter, "auffällig großer" Mann, das war, wie sich später herausstellen sollte, Patrick Haemers. Über den gibt es ebenso viele Geschichten wie über sein Opfer. Haemers war in den 1980er Jahren so etwas wie der Staatsfeind Nummer eins. Eine Reihe von zum Teil blutigen Überfällen auf Geldtransporter gingen auf sein Konto. Als das zu gefährlich wurde, wollte die Bande offenbar umsatteln, eben auf Entführungen: Paul Vanden Boeynants war - neben seinem politischen Leben - ein erfolgreicher Geschäftsmann, galt als sehr vermögend.
"Die Entführer jedenfalls sind sehr professionell", schilderte VDB seine Geschichte. Sie kommunizierten nur schriftlich mit ihm. Die Mitteilungen waren mit der Schreibmaschine verfasst. Die erste Erklärung war kurz und bündig: "Dies ist eine Entführung".
30 Tage lang wurde Vanden Boeynants festgehalten. Wo, das wusste er nicht. Nur, dass die Entführer mit ihm zusammen über zwei Stunden lang durch die Gegend gefahren sind. Dabei war VDB bei weitem nicht so pflegeleicht, wie es sich die Entführer vielleicht gewünscht hätten. "Also, sie haben mich immer geduzt, sagte VDB. "Irgendwann habe ich sie dann doch mal gefragt, wer ihnen das erlaubt hat." Die Antwort allerdings war dann doch klar und deutlich: "Hier sind wir die Herren", antworteten ihm die Entführer, "und Du hältst jetzt die Klappe". Die Entführer wollten Lösegeld. Wie VDB später behauptete, habe er mit den Entführern noch über die Höhe des zu zahlenden Betrags verhandelt. Zuzutrauen wäre es ihm.
Bild: Robert Vanden Brugge (belga)