18. Juli 1991, 7:25 Uhr, Avenue de l'Observatoire in Cointe, ein Vorort von Lüttich. André Cools liegt auf dem Parkplatz vor seiner Wohnung, von zwei Kugeln niedergestreckt. Eine dritte Kugel trifft Marie-Hélène Joiret, seine Lebensgefährtin, die den Anschlag schwer verletzt überleben wird.
André Cools, der Übervater der wallonischen Sozialisten, ist tot. Schockstarre.
Die Lütticher Justiz ermittelt in alle Richtungen. Motor ist die unerschrockene Untersuchungsrichterin Véronique Ancia.
Spuren, die auf den ersten Blick vielversprechend aussehen, gibt es viele - ausgehend von einem Satz, den Cools kurz vor seinem Tod in ein RTBF-Mikro gesprochen hat. "Sind Sie ein Verschwörer?", wird Cools gefragt. "Ich nicht", erwidert Cools, "Ich bin vielmehr derjenige, der die Komplotteure enttarnt. Und die mögen das nicht."
Welche Verschwörer hat Cools gemeint? Wer hatte ein Interesse daran, Cools aus dem Weg zu räumen? Die Ermittlungen in dem Fall erweisen sich als veritable Skandal-Fabrik. Die Zusammenfassung in Schlagworten: SMAP-Affäre, gestohlene Wertpapiere und eben Agusta-Dassault.
Hubschrauber und F16
Die Lütticher Justiz schaut sich noch einmal Waffengeschäfte aus den 80er Jahren genauer an - auch einen Hubschrauber-Deal mit Agusta. Die belgischen Luftstreitkräfte hatten neue Helikopter im Gegenwert von 12 Milliarden belgischen Franken bestellt. Den Zuschlag für das Geschäft erhielt der italienische Rüstungskonzern Agusta. Wie sich zeigen sollte, war das aber nicht die erste Wahl der Militärs. Der Verdacht: Agusta hat an den entscheidenden Stellen "nachgeholfen" und Schmiergelder bezahlt.
Die Aufrüstung der F16-Kampfflugzeuge der Luftstreitkräfte durch die Firma Dassault wirft später dieselben Fragen auf: Hat Dassault diesen Auftrag am Ende auch nur bekommen, weil man einigen Schlüsselpersonen Geld bezahlt hat?
Die Ermittler sind davon überzeugt. Es werden Hausdurchsuchungen gemacht, Zeugen befragt. Anfang 1994 gerät die Akte in eine Stromschnelle. Am 6. Januar wird bekannt, dass die Justiz offiziell Ermittlungen einleiten will, allen voran gegen vier politische Schwergewichte, allesamt Sozialisten: die "drei Guys" - Guy Spitaels, Guy Coeme und Guy Mathot - sowie den flämischen SP-Politiker Willy Claes.
Wenn man sich die Funktionen anschaut, die diese Leute damals bekleideten, konnte einem durchaus schwindlig werden: Guy Spitaels (Beiname "dieu" - "Gott") ist amtierender wallonischer Ministerpräsident, Guy Coeme ist föderaler Vizepremier, Guy Mathot ist wallonischer Regionalminister und Willy Claes sogar amtierender NATO-Generalsekretär. Sie alle hatten tatsächlich im fraglichen Zeitraum, als die Waffen-Deals zustande kamen, Schlüsselpositionen inne - vor allem Coeme (Verteidigungsminister) und Claes (als Wirtschaftsminister dafür zuständig, die wirtschaftlichen Gegenleistungen der Konzerne zu prüfen). Alle beteuern ihre Unschuld.
Weltweites Aufsehen
Die Lütticher Justiz beantragt dennoch die Aufhebung der parlamentarischen Immunität der vier Persönlichkeiten. Die drei Guys treten zurück und auch Willy Claes, der bis zuletzt seine Unschuld beteuert, muss sein Amt aufgeben. Der amtierende NATO-Generalsekretär tritt zurück, die Affäre macht weltweit Furore.
Nur Mathot wird am Ende freigesprochen. Spitaels, Coeme und Claes werden 1998 vom Kassationshof zu Bewährungsstrafen verurteilt. Die damalige Generalprokuratorin am Kassationshof, Eliane Liekendael, zeigt sich wenig nachsichtig. "Wenn Spitaels nicht in den Genuss einer Immunität gekommen wäre, hätte er wohl auch das Gefängnis von Lantin von innen gesehen", sagte Liekendael.
Die Agusta-Dassault-Affäre versetzt den Sozialisten einen herben Schlag, von dem sie sich - vor allem im Falle der flämischen SP - lange nicht erholen wird. Die politische Karriere aller Protagonisten ist im Januar 1994 mit einem Mal vorbei. Nur Coeme macht als Bürgermeister seiner Heimatsstadt Waremme und einfacher Kammerabgeordneter ein "kleines Comeback".
Man zieht aber die Lehren aus der Agusta-Dassault-Affäre: Das Gesetz zur Parteienfinanzierung wird deutlich verschärft.
Mit dem Mord an André Cools hat die Geschichte am Ende gar nichts zu tun. In dieser Sache werden schließlich Leute aus dem Umfeld des früheren wallonischen PS-Regionalministers Alain Van der Biest verurteilt. Aber das ist eine andere Geschichte.
Bild: Belga-Archiv