Es ist fast schon wie "Malen nach Zahlen". Man muss jedenfalls nicht über eine Kristallkugel verfügen, um zumindest die groben Linien des Jahres 2014 vorzuzeichnen.
Dreh- und Angelpunkt des Jahres wird - und das hört und liest man ja fast schon seit Jahren - der 25. Mai sein. Die Mutter aller Wahlen: Alle wichtigen Parlamente des Landes werden neu zusammengestellt, auf föderaler, regionaler und Gemeinschaftsebene, nicht zu vergessen die Europawahl.
All diese Urnengänge werden eins gemeinsam haben: extreme Polarisierung. Was des einen "bessere Welt" ist des anderen Horrorvision.
Rechts gegen Links, Konföderalismus gegen Bundestreue im Zeichen der Kooperation, pro oder contra EU. Hier prallen nicht mehr politische Färbungen ein und derselben Welt aufeinander, sondern ganze Weltbilder, und das manchmal mit einer Kompromisslosigkeit, die durchaus an die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts erinnern kann.
Auf Föderaler Ebene reduziert sich das Ganze letztlich auf zwei Parteien: Auf der einen Seite die N-VA, auf der anderen die PS. Beide geben sich die größte Mühe, jeweils des anderen Gegenentwurf zu sein. Diese taktische Ausrichtung macht sie de facto wieder zu Verbündeten: PS und N-VA wollen einen Lagerwahlkampf heraufbeschwören, wollen allein für jeweils ein Gesellschaftsmodell stehen, schwingen sich zum Verteidiger ihrer jeweiligen Sprachgruppe auf. Das Ganze ist umso praktischer - um nicht zu sagen absurder - als beide Parteien nicht direkt gegeneinander antreten.
Durch diese sich abzeichnende Hyper-Polarisierung, mehr noch: Diabolisierung, besteht die Gefahr, dass alle anderen Parteien am Ende ausgeblendet werden, dass es nur noch schwarz oder weiß gibt, dass womöglich kein Wahlkampf im besten Sinne des Wortes mehr stattfindet. Keine Konfrontation von Ideen und Vorschlägen mehr, am Ende geht es im schlimmsten Fall allein noch um die Frage "die oder wir".
Wobei "die" und "wir" sich ja ab dem 26. Mai wieder zusammenraufen müssen. Das muss zwar nicht automatisch zu einer Wiederauflage der Existenzkrise von 2010 führen, sollten aber die N-VA und die PS in ihren jeweiligen Jagdgründen als die uneingeschränkten und unumgänglichen Wahlgewinner aus der Schlacht hervorgehen, dann ist die Patt-Situation gleich wieder perfekt.
Diese Gemengelage macht aus der Wahl vom 25. Mai eben eine Schicksalswahl, die "Wahl der Wahrheit". Und obgleich es niemand gesagt haben will (auch nicht die N-VA) kann die Einheit des Landes sehr schnell wieder zum Einsatz des gefährlichen Spiels werden. Spätestens dann wartet auch auf den neuen König Philippe die Nagelprobe. Es wird auch sein "Jahr der Wahrheit".
Aber ob nun mit oder ohne Wahl: Umbrüche wird es so oder so geben. Mit der sechsten Staatsreform sind die Weichen in Richtung eines neuen Belgiens schon gestellt. Hier trifft die Politiker-Rhetorik ohne Zweifel zu: Der politische Schwerpunkt wird sich verlagern, zentrifugal, hin zu den Gemeinschaften und Regionen nämlich. Das zeigt sich allein an einer Feststellung: Flandern wird künftig ein größeres Budget zu verwalten haben als der Föderalstaat. Das sagt, was es sagt.
Hier schlägt noch so eine "Stunde der Wahrheit". Die Regionen und Gemeinschaften werden nämlich unter Beweis stellen müssen, dass sie reif sind für diese neue Rolle. Und da sind durchaus Zweifel erlaubt, das gilt für alle Landesteile gleichermaßen. Die politische Debatten- und Streitkultur ist nämlich in den Regional- und Gemeinschaftsparlamenten immer noch viel zu oft auf einem viel zu dürftigen, manchmal gar unterirdischen Niveau. Trotz einer spürbaren Professionalisierung zeigt sich immer noch regelmäßig, dass der Parlamentarismus auf Teilstaatenebene nicht auf einer langen Geschichte fußt, sondern letztlich aufoktroyiert wurde, nach dem Motto: "Hier habt ihr Zuständigkeiten, jetzt spielt mal Demokratie".
"Was wir selbst machen, müssen wir besser machen": Diesem Anspruch, der in Flandern fast schon zur Staatsräson avanciert ist, müssen alle Regionen und Gemeinschaften schon sehr bald sehr gerecht werden. Eine Staatsreform, die sich letztlich nur auf institutionelle Spitzentechnologie beschränkt und keine Verbesserung für den Bürger mit sich bringt, eine solche Staatsreform braucht die Welt nämlich nicht.
Ein "Jahr der Wahrheit" wird es auch für den Wirtschaftsstandort Belgien und, damit verbunden, für die Soziale Sicherheit. Die Herausforderungen sind enorm: Die Lohnkosten sprengen im internationalen Vergleich fast alle Rahmen. Die Staatsschuld ebenfalls, wenn diese Feststellung auch nicht neu ist, das macht sie nicht angenehmer. Der Demographie-Schock und der damit verbundene Renten-GAU, das sind keine diffusen Schreckgespenster mehr, mit denen angebliche Berufspessimisten herumfuchteln, wir sind schon mittendrin.
Diesen Wahrheiten kann sich keine neue Regierung verschließen. Und das Erwachen wird - hört, hört, Wallonie - umso schmerzlicher sein, je tiefer der Kopf bislang im Sand steckte. Dass entscheidende Weichenstellungen vorgenommen werden müssen, das ist jedenfalls so sicher wie das Amen in der Kirche, zumal der Zeitpunkt für tiefgreifende Reformen aus parteipolitischer Sicht günstig ist.
Die nächsten Wahlen stehen theoretisch erst wieder 2018 bzw. 2019 an. Das öffnet ein in Belgien selten gekanntes Zeitfenster für ein Großreinemachen. Wohin die Reise gehen wird, auch das entscheidet sich am 25. Mai.
2014, ein Jahr der mitunter schmerzlichen Wahrheiten, darauf sollte man sich einstellen. Wohlwissend, dass das Land 2015 ein anderes sein wird. Mit Sicherheit.
Ja Roger; Das wird Spannend hoffe das wir die versionvon2010 nicht erleben müssen.
Denn dann sehe ich doch eher Schwartz fur unser Belgien zu viert.
Waretn wir was kommen mag an guten wie an schlechten Tagen singt man ja schon in der Kirche.
Gruß Alex