Die Volksvertreter würden inzwischen fast schon wie Aussätzige behandelt, schreibt Fientje Moerman sinngemäß. Der öffentliche Seufzer der flämischen Liberalen sorgt für gemischte Reaktionen, von Zustimmung bis Kopfschütteln. 21 Mal kommt das Wort "Angst" in dem Offenen Brief vor, den Fientje Moerman an De Standaard schickte und der seit seiner Veröffentlichung in der Zeitung für unheimlich viel Wirbel gesorgt hat. Angst vor jedem Morgen. Angst davor, was jetzt wieder in der Zeitung steht, wer denn heute durchs Dorf getrieben wird, ohne, dass er sich wehren könnte, schreibt Fientje Moerman.
Angst davor, mit dem P-Kennzeichen herumzufahren, das einen ja als Parlamentarier identifiziert. Angst, dass man in seiner Steuererklärung das alte Konto der Tante anzugeben vergisst, dass man ja geerbt hat, und dass man deswegen gleich als Steuerbetrüger an den Pranger gestellt wird. Angst davor, dass man morgen wieder was über die angeblich astronomischen Abgeordneten-Diäten liest, was dann gleich wieder dafür sorgt, dass man zum Profiteur gestempelt wird. Man muss konstant auf der Hut sein, beklagt Moerman. Man hat das Gefühl, dass man es nie richtig machen kann: "Jedes Land hat seine Unreinen", schreibt die Open-VLD-Politikerin. "In Indien bezeichnet man diese Unreinen als 'Paria', in Flandern sind es Politiker". Harte Worte, gerichtet an quasi alle Beteiligten: die Presse, die Politikwissenschaftler und auch die Wähler.
Hier spreche aber ihr Herz, sagt Fientje Moerman. Sie habe auch lange gezögert, bis sie sich dann doch entschlossen hat, den Brief zur Veröffentlichung an De Standaard zu schicken. Sie glaubt aber, für viele ihrer Kollegen zu sprechen. Leute, die nach eigener Aussage ihren Kindern einflößen, bloß niemandem zu sagen, dass ihre Mama Politikerin ist. Ich bin so etwas wie der Kanarienvogel in der Kohlenmine, sagt Moerman.
Öffentlich wollen sich allerdings die wenigsten mit dem identifizieren, was Fientje Moerman schreibt. "Also, ich habe ein dickes Fell", sagt der CD&V-Parlamentarier Eric Van Rompuy. Er habe nicht den Eindruck, dass die Menschen ihn nach all den Jahren schief angucken oder gar feindselig begegnen. Er bekomme ebenfalls viel zurück, sagte Kristof Calvo von Groen in der VRT. Und die Politik muss da auch vor der eigenen Türe kehren. Wenn sich wüst gestritten wird und dabei die Inhalte außen vor bleiben, dann ist das häufig auch die Schuld der Politiker.
Und auch die Presse will sich den Schuh nicht wirklich anziehen. "Klar schießen wir leider auch schon mal über das Ziel hinaus. Aaber die Politiker müssen sich den Respekt auch erstmal verdienen", sagen die Leitartikler quasi im Chor. "Stimmt", sagt Fientje Moerman. "Aber dann schaut doch mal genauer hin". Also, sie sehe zahllose Kollegen, die akribisch ihre Arbeit tun, die aber im Verborgenen bleibt. "Weil es niemanden interessiert, weil die Medien erst dann aufmerksam werden, wenn's zischt und pufft". Das ganze Politiker-Bashing sei jedenfalls auf Dauer schädlich für die Demokratie, sagt Fientje Moerman. Und man müsse sich auch nicht wundern, wenn immer mehr Politiker immer früher abspringen und sich was anderes suchen; in der Tat hat es da ja in der letzten Zeit einige Beispiele gegeben: Rik Torfs und Sven Gatz, um nur zwei zu nennen.
Das Fazit von Marc Van de Looverbosch, VRT-Journalist und Präsident des flämischen Journalistenverbandes, ist da fast schon salomonisch: "So, wie man nicht alle Medien über einen Kamm scheren kann, sollte man das auch nicht mit Politikern tun."
Bild: Nicolas Maeterlinck (belga)
Und der Aufschrei der Bürger hört niemand.
Immer mehr Schulden, Millionen zusätzlicher Arbeitsloser, Tausende von Firmen-Zusammenbrüchen und Obdachlosen. Es stimmt, die Politiker müssen sich den Respekt auch erstmal verdienen.
Vielleicht sollte Frau Moermann mal darüber nachdenken warum die Schere zwischen arm und normal ( reich benutze ich erst gar nicht) immer größer wird.
Vielleicht auch mit einbeziehen das durch das Internet diese Disrepanz immer schneller und breiter öffentlich wird.
Der normale Durchschnittsbürger sieht einfach nur den Unterschied zwischen sich und auch so manchem Politiker am 15ten eines jeden Monats. Der Rest kommt von selbst.
Frage: sollte Politik nicht ein Dienst am Volk darstellen? Warum zahlen EU Abgeordnete praktisch keine Steuer auf ihre "Diäten" - passendes Wort für Kuchen mit Sahne.