Seit Jahren ist es ein Streitthema in der Politik: Soll die Sterbehilfe auf Minderjährige ausgeweitet werden? Selbst innerhalb der Regierung besteht keine Einigkeit. Im Koalitionsvertrag hatte man das Thema feinsäuberlich ausgeklammert. Liberale und Sozialisten haben jetzt aber doch einen Gesetzesvorschlag im Parlament eingereicht - gegen den Willen der christlich-sozialen Koalitionspartner von CD&V und CDH.
Am Mittwochvormittag ist die Entscheidung gefallen. Die zuständigen Senatsausschüsse haben zum ersten Mal grünes Licht gegeben. Bis die Ausweitung der Sterbehilfe tatsächlich im Gesetzbuch steht, ist aber noch ein langer Weg.
Kinderärzte pro Sterbehilfe
Renommierte Kinderärzte in Belgien fordern seit Jahren, dass man die Sterbehilfe auf Minderjährige ausweitet. Warum dürfe man einen unheilbar kranken Jugendlichen mit 18 Jahren von seinen Schmerzen erlösen, wenn das sein ausdrücklicher Wunsch ist. Während man bei einem 17-Jährigen tatenlos zusehen muss, sagt Gerlant van Berlaer - Kinderarzt an der Uniklinik Brüssel.
Der Gesetzesvorschlag soll das legalisieren, was im Stillen schon längst geschieht. Nämlich, dass Ärzte leidende Jugendliche von ihrem Schmerz erlösen, obwohl sie das eigentlich gar nicht dürfen. Nimmt man keine Änderung am Gesetz vor, dann geht die verbotene Praxis im Verborgenen weiter, warnt Kinderarzt van Berlaer.
Christdemokraten contra Sterbehilfe
Während Liberale und Sozialisten dafür sind, sind die Christdemokraten strikt dagegen. Sie führen ethische und moralische Bedenken an. Es bestehe die Gefahr, dass man eine so ernste Sache banalisiere. Außerdem geht ihnen das Ganze viel zu schnell. Die Texte seien noch nicht reif, gibt der CDH-Senator Françis Delperée zu bedenken. Er habe die endgültigen Texte erst gestern erhalten. Und darin stehe nicht geschrieben, dass der Minderjährige sich im Endstadium befinden müsse, um für die Sterbehilfe in Frage zu kommen. Möglicherweise habe man noch andere Dinge in der Kürze der Zeit vergessen. Die Christdemokraten hatten außerdem ein Mindestalter von 15 Jahren ins Spiel gebracht.
Die Befürworter sehen das jedoch anders, wollen die nötigen Anpassungen vornehmen und steuern jetzt auf eine alternative Mehrheit zu - also eine andere Mehrheit im Parlament als die gewöhnliche der Regierungsparteien. Das ist zwar nicht üblich, kommt aber gerade in ethischen Fragen schon mal.
Die N-VA ist inzwischen für die Gesetzesänderung. Die Grünen auch - selbst wenn ihnen der Vorschlag nicht weit genug geht. Denn die aktive Sterbehilfe bei Jugendlichen ist an verschiedene Bedingungen geknüpft. So muss es sich um eine physische Erkrankung im Endstadium handeln - psychische Leiden sind also ausgeschlossen. Außerdem muss das Kind urteilsfähig sein und die Eltern müssen zustimmen, sagt Jean-Jacques De Gucht von den flämischen Liberalen - einer der Autoren des Gesetzesvorschlags. Ein Arzt müsse die Urteilsfähigkeit des jungen Patienten zwingend untersuchen, also sein Vermögen zu verstehen, was der Tod bedeutet. Kinderarzt Gerlant van Berlaer sagt zwar, dass Sterbehilfe bei Jugendlichen nicht häufig vorkommt, aber mit der Gesetzesänderung könne man Kindern wirklich helfen.
Ob die Sterbehilfe für Minderjährige tatsächlich bald ins Gesetzbuch aufgenommen wird, ist fraglich. Nach dem Ausschuss muss noch der gesamte Senat zustimmen. Anschließend muss die Kammer den Vorschlag bearbeiten. Bis zu den Wahlen bleibt aber nur noch ein halbes Jahr.
Bild: Olivier Vin (belga)