"Wer Belgien verstanden hat, dem hat man es nicht erklärt". Ein Scherz, der nichts desto trotz einer gewissen Realität entspricht, muss selbst Vincent de Coorebyter einräumen. Und der ist immerhin Präsident des CRISP, einer renommierten Vereinigung von Politologen, die nichts anderes macht, als Belgien zu erklären.
Über das "Belgien zu viert" zu diskutieren, das wird also schnell zu institutioneller Spitzentechnologie. Die Partei "ProBruxsel" hatte zu der Veranstaltung eingeladen.
In Brüssel kommt das Konzept naturgemäß oft sehr gut an. Ein Belgien zu viert, das heißt ja prinzipiell, dass Belgien aus vier gleichberechtigten Partnern besteht. Damit würde nicht nur die Position der DG, sondern auch die der Region Brüssel Hauptstadt nicht nur konsolidiert, sondern sogar aufgewertet.
Brüssel als zentraler Streitpunkt
Brüssel, das ist und bleibt aber der gordische Knoten der belgischen Architektur. Vincent de Coorebyter sieht hier auch das größte Hindernis auf dem Weg zu einem hypothetischen "Belgien zu viert". Das würde ja bedeuten, dass Brüssel eine viel ausgeprägtere Eigenständigkeit erlangen würde. Es sei schwer vorstellbar, dass Flandern das Band mit Brüssel kappen könnte, sagte Vincent de Correbyter im BRF-Interview.
Aber nicht genug damit. Nicht nur, dass man die historische und seit Jahrzehnten ideologisch fest verankerte Beziehung zu Brüssel aufgeben müsste. Flandern müsste auch noch dafür bezahlen. Bislang sei man noch bereit, Brüssel finanziell zu unterstützen, aber eben unter der Bedingung, dass man ein Wörtchen mitreden kann.
In einem "Belgien zu viert" bekäme Brüssel aber die Butter und das Geld für die Butter. Und das sei, zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt, politisch betrachtet schlichtweg utopisch, meint Vincent de Correbyter.
Immer mehr Eigenständigkeit
Der Vater des Gedankens, DG-Ministerpräsident Karl-Heinz Lambertz, weiß natürlich auch, dass der Weg hin zu einem Belgien zu viert, nicht unbedingt ein Sonntagsspaziergang würde, eben wegen der flämischen Trennungsängste Brüssel gegenüber.
Dennoch gäben die Flamen Brüssel mehr und mehr Zuständigkeiten und bauten so die Eigenständigkeit Brüssels weiter aus, sagte Ministerpräsident Karl-Heinz Lambertz im BRF. Die sechste Staatsreform unterstreiche die Entwicklung noch einmal deutlich. Dies stehe im Widerspruch zu den oft geäußerten Vorbehalten eines eigenständigeren Brüssels.
Und auch Vincent de Coorebyter kann nicht abstreiten, dass das Belgien zu viert -zumindest in seinen Grundzügen- schon existiert. Es gibt Regionen, die inzwischen klassische Gemeinschaftsmaterien verwalten; Beispiel: die Wallonie. Es gibt Gemeinschaften, die regionale Zuständigkeiten haben; Beispiel: DG.
Solange man sich im Rahmen des derzeitigen Staatsgefüges bewege, verliert keiner sein Gesicht. Wenn man das aber ein "Belgien zu viert" nennt und zum neuen Modell des Staatsgefüges macht, dann sprengt man den bisherigen Rahmen. Und dafür sei die Zeit nicht reif, sagt Vincent de Coorebyter.
Gemeinschaften vs. Regionen
Der Grund: Flandern hat immer die "Gemeinschaften" in den Vordergrund gestellt. Im Wesentlichen ist es ein bipolares Gebilde: Flamen und Frankophone. Das ist nicht umsonst auch die Grundlage des Konföderalismus' der N-VA. In einem "Belgien zu viert" stünden die Regionen zentral. Das ist die frankophone Sicht.
Ein Belgien zu viert, das wäre also ein "radikaler" Umbruch, der vor allem die historische flämische Position infrage stellt. So legitim sie auch sein mag, diese Idee sei wohl eher utopisch, glaubt Vincent de Coorebyter.
"Kommt Zeit, kommt Rat", meint demgegenüber Karl-Heinz Lambertz. Was nicht ist, kann ja noch werden. Der Weg sei quasi vorgezeichnet, das allein aus Gründen der Effizienz. Am Ende müssten wohl alle einsehen, dass es einfacher ist, klare Strukturen zu haben.
Die Flamen haben Angst, in einem Belgien zu viert immer eine 3 gegen 1 Situation zu haben. Karl-Heinz Lambertz glaubt, dass die Teilstaaten immer einen Kooperationsbedarf haben werden. Flandern habe Brüssel genauso nötig wie die Wallonie und umgekehrt. Es komme die Zeit, in der um Brüssel nicht mehr aus Machtkalkül diskutiert werde. Dann, so sagt Lambertz, werde man Lösungen finden, die für alle Beteiligten eine Win-Win-Situation sein werden.
Bild: Benoit Vanzeveren (belga)