Jetzt ist es ausgesprochen! Jetzt weiß man, was die N-VA meint, wenn sie von Konföderalismus spricht: Zwei Teilstaaten, Flandern und die Wallonie, die quasi alle Zuständigkeiten bekommen - inklusive der kompletten Einkommenssteuer und der Sozialen Sicherheit. Eine konföderale Ebene, die einer leeren Hülle gleicht. Brüssel und die DG: allenfalls Fußnoten.
Da muss man nicht um den Brei herumreden, das ist die Spaltung des Landes. Von einer Partei, die nach wie vor laut Artikel 1 ihrer Satzung für die flämische Unabhängigkeit steht, kann man im Grunde nichts anderes erwarten.
Warum spricht sie dann doch von "Konföderalismus"? Nun, das mag daran liegen, dass die N-VA vorher nochmal auf das Belgometer geguckt hat. Man weiß, dass trotz des langen Psychoterrors für die meisten Flamen die Spaltung des Landes kein Thema ist. In ihrer unendlichen Güte gibt die N-VA denn auch zum Beispiel dem König ein Bleiberecht. Er darf freilich nur noch Kindergärten oder Ausstellungen eröffnen. Aber die Abschaffung der Monarchie zu fordern, das erschien den Nationalisten dann doch zu riskant.
Der "Konföderalismus" der N-VA, das ist also erstmal noch immer eine gehörige Dosis Scheinheiligkeit. Doch muss man ehrlich sein: Die N-VA spricht die Dinge offener aus, als man es vielleicht erwarten konnte. So offen jedenfalls, dass man nach der nächsten Wahl nicht mehr behaupten kann, dass der Wähler nicht gewusst hat, wem er da seine Stimme gibt. Insofern hat die Zeitung Le Soir recht: Die N-VA hat aus der Wahl 2014 ein Referendum über die Zukunft des Landes gemacht.
Was eine politische Realität ist, ist zugleich eine demokratische Tragödie. Dass eine Partei wie die N-VA, noch dazu aus der föderalen Opposition heraus, offenkundig die politische Agenda diktiert, dass sie sogar den Einsatz der nächsten Wahl bestimmt, das ist definitiv zu viel der Ehre.
Der Erfolg der N-VA ist nämlich eigentlich eine Schande für Flandern. Wenn man sich einige der Vorschläge so anschaut, die die N-VA in den letzten Wochen in die Welt gesetzt hat, dann muss man sich fragen, wie es möglich ist, dass - nach dem derzeitigen Stand - mindestens ein Viertel der flämischen Wähler einer solchen Partei vertraut.
Ein Land ohne Premierminister. Ein Land, in dem die Bürger in gewissen Fällen der Polizei helfen könnten. Eine Stadt wie Brüssel, wo zwei Steuer- und Sozialsysteme koexistieren würden, wo jeder Bürger wählen kann, ob man jetzt die Steuern in Flandern oder der Wallonie zahlt und wo man im Krankenhaus erst klären muss, ob der Patient jetzt in Flandern oder in der Wallonie versichert ist. Das alles nur, um nicht auf Brüssel verzichten zu müssen - effiziente Politik ist etwas anderes.
Eine Konföderation, die ja dann immer noch eine riesige Staatsschuld hätte, für die dann aber ein Premierminister verantwortlich ist, den es nicht gibt ... Das alles klingt, mit Verlaub, aber doch sehr verwegen.
Ganz davon abgesehen: Selbst wenn der flämische Wähler das wirklich will und der N-VA ein eindeutiges Mandat gibt, dann droht eine neue existentielle belgische Krise, gegen die die letzte noch ein Kinkerlitzchen wäre. In der Wallonie, Brüssel und nicht zuletzt auch in der Deutschsprachigen Gemeinschaft dürfte es wohl kaum sehr viele Befürworter für den Konföderalismus der N-VA geben. Aber selbst eine N-VA mit 50 Prozent bräuchte Partner - oder eben eine Brechstange.
Die Konföderalismus-Offensive ist eigentlich der N-VA würdig, die noch vor einigen Jahren mit der Fünf-Prozent-Hürde gerungen hat. Mit dem einen Unterschied, dass die Forderungen jetzt von der größten flämischen Partei kommen.
Nur dass das so ist, das hat seinen Grund. Es ist wohl nicht so, dass ein Viertel der flämischen Wähler über Nacht den Verstand verloren hätte. Vielmehr erntet die traditionelle Parteienlandschaft das, was sie über Jahre gesät hat. Gleich dem Doktor Frankenstein haben die Parteien mit ihrer jahrzehntelangen Anti-Politik die N-VA erst geschaffen.
Eine politische Kaste, die die Parteiinteressen viel zu oft über alles andere gestellt hat. Ein Land, das seine Justiz buchstäblich hat verrotten lassen, wo es bis vor kurzem normal war, dass Gefängnisstrafen unter drei Jahren nicht abgesessen wurden. Ein Land, in dem politische Ernennungen bis zum Exzess praktiziert werden, wo der Staat immer noch allzu oft wie ein Selbstbedienungsladen betrachtet wird. Frankophone, die die teilweise durchaus legitimen Forderungen der Flamen ungelesen mit einem Handstreich vom Tisch fegten. Eine Parteienlandschaft, die in ihrer Arroganz und Selbstherrlichkeit an dem Ast gesägt hat, auf dem sie sitzt.
Die traditionellen Parteien scheinen das inzwischen verstanden zu haben. Nicht umsonst hat die Regierung mehr heiße Eisen angepackt als quasi alle ihre Vorgänger zusammen. Schade nur, dass es erst einer Populistenpartei wie der N-VA bedurfte, um sie wachzurütteln. Und dass der Bürger jetzt nur noch die Wahl hat zwischen einer Parteienlandschaft, die sich in hohem Maße selbst disqualifiziert hat, und einem separatistischen Experiment mit höchst ungewissem Ausgang.
Guter Kommentar ! hat die Sache auf den Punkt gebracht. Jetzt kann man nur noch auf den gesunden Menschenverstand in Flandern hoffen.
Herr Pint, Ihr Kommentar bringt die Sache auf den Punkt.
Ein Großteil der Wähler ist vollkommen verunsichert, die Programme der Parteien gleichen sich, Sie versprechen alles und nichts.
Zudem ist es bedauerlich dass es keine Nationalen Parteien mehr gibt, wie soll der Bürgen noch durchblicken wenn z.B. die Sozialisten Flanderns und Walloniens sich in vielen Themen nicht einmal einig sind.