Die N-VA, die größte Partei Flanderns, steckt in der Krise. Erstmals seit ihrem kometenhaften Aufstieg, der vor rund fünf bis sechs Jahren einsetzte, weist die Popularitätskurve plötzlich einen sichtbaren Knick auf. Doch sind es nicht nur die Umfragewerte - zumal die sich ja oft genug als falsch erweisen - man spürt eine Malaise in der Partei von Bart De Wever.
Luc Van der Kelen, bis vor kurzem Leitartikler von "Het Laatste Nieuws" glaubt, dass die N-VA schwächelt.
Luc Van der Kelen ist im Ruhestand, beziehungsweise im Unruhestand. Die Politik lässt ihn einfach nicht los. Er ist immer noch ein feiner Beobachter des innenpolitischen Lebens, veröffentlicht immer noch regelmäßig Kommentare in "seiner" Zeitung "Het Laatste Nieuws".
Und für den Leitartikler, der er ist, sind es spannende Zeiten. Die N-VA leistet sich gerade ihre erste wirkliche Krise seit ihrem fulminanten Aufstieg zur stärksten Partei Flanderns. Da sind zunächst die Umfragen. Die N-VA steht plötzlich wieder bei 28 Prozent, nachdem sie zwischenzeitlich mit der 40-Prozent-Marke geflirtet hat. 28 Prozent, das ist zwar immer noch ein stolzes Ergebnis, andere Parteien würden drei Tage durchfeiern. Dennoch: Erstmals hat die Popularitätskurve einen Knick bekommen.
Das ist aber allenfalls eine Illustration der N-VA-Krise, nicht die Ursache, glaubt Luc Van der Kelen.
Erstens: Es gibt einen Richtungsstreit in der Partei. Sie ist letztlich zum Opfer ihres Erfolgs geworden. In den letzten Jahren hat sie N-VA Wähler aus allen Lagern angezogen, von der Mitte bis Extremrechts. Nur verstehen sich diese Leute nicht, sie setzen jeweils andere Prioritäten. Die einen stellen die Gemeinschaftspolitik in den Vordergrund, die anderen stehen für sozial-wirtschaftliche Themen.
In Ermangelung einer klaren Botschaft beschränkte man sich also bislang darauf, zu kritisieren. Das ist aber auf Dauer ein bisschen zu einfach, sagt Luc Van der Kelen. Inhaltlich weiß man inzwischen nicht mehr, wofür die N-VA eigentlich steht.
Die N-VA hat derzeit also keine klare Strategie. Und auch keine Galionsfigur. Bart De Wever hat versprochen, seine Amtszeit als Bürgermeister von Antwerpen zu Ende zu bringen, also bis 2018. Als Kandidat für das Amt des flämischen Ministerpräsidenten oder gar des Premiers kommt er also nicht infrage; damit werde die N-VA gewissermaßen enthauptet, glaubt Van der Kelen.
Hinzu kommt: Der Lack ist ab. Der Reiz des Neuen ist verblasst. Es gab eine Zeit, da schlug man sich buchstäblich um ein Interview mit Bart De Wever. Da war meist Pfeffer drin, er produzierte tolle Zitate, teilweise auch treffende Analysen. Aber irgendwann hat sich das verbraucht.
Es war also zunächst die klassische Aufwärtsspirale, das, was man zuweilen den "Omnibus-Effekt" nennt. Es gibt eine neue Bewegung, die eben in erster Linie für Erneuerung steht: einen "neuen Besen". Jeder will irgendwie dabei sein. Und wer nicht dabei sein will, der sorgt zumindest dafür, sich nicht selbst ins Abseits zu stellen.
Dann, auf einmal, ist der Wurm drin. Und bei einer Medienfigur wie Bart De Wever wird das dann auch wieder zum Ereignis. De Wever strauchelt, auch das sei eben eine Story. Im Grunde interessiert sich jeder dann nur noch dafür, wie er sich auf die Nase legt.
So schnell hat der "Etat de grâce", der Zustand der glückseligen Narrenfreiheit, in sein Gegenteil verkehrt; man könnte sagen: ein Omnibus-Effekt in die andere Richtung. Und im Fall der N-VA ist die Trendwende spektakulär. Vor einigen Tagen erlebte das N-VA-Schwergewicht Siegfried Bracke sein persönliches Waterloo, als er bei einer Podiumsdiskussion vor 800 Studenten in Löwen buchstäblich ausgelacht wurde. Das ist absolut bemerkenswert, sagt auch Luc Van der Kelen.
Ist das jetzt der Anfang vom Ende der N-VA? Geschrieben hat er es schon, der Luc Van der Kelen. Im BRF-Interview gibt er sich aber etwas nuancierter. Klar: das Blatt kann sich auch schnell wieder wenden. Aber: die N-VA muss unbedingt Klarheit schaffen, sagt Van der Kelen. Sie muss ihre Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, das war schließlich ihr Kapital. Und das sei in der Tat eine Frage des Überlebens. Wenn die Partei die Kehrtwende nicht schafft, dann müsse sie sich jedenfalls nicht wundern, wenn die Wähler genauso schnell weglaufen, wie sie gekommen sind, so Van der Kelen.
Archivbild: Kristof Van Accom (belga)