Das Wort "Nationalismus" hat einen Beigeschmack. In Belgien steht der "flämische Nationalismus" im Moment eher für Separatismus, in letzter Konsequenz für die Spaltung des Landes. Jetzt hat der wallonische Ministerpräsident Rudy Demotte für mächtig Wirbel gesorgt, als er einen "wallonischen Nationalismus" beschworen hat. Und er macht ausdrücklich einen Unterschied: Der "wallonische Nationalismus" sei "positiv", der flämische "Gift".
Er sei kein Verfechter eines reinrassigen Nationalismus, sagte Rudy Demotte. Und doch hat er das Wort in den Mund genommen: "Wallonischer Nationalismus". Ursprünglich war das in einem Nebensatz. Das Ganze hat im Grunde harmlos begonnen, bei einer Pressekonferenz, wo es um das anstehende Fest der Wallonie ging. Das Fest der Wallonie, das sei doch traditionell so etwas wie eine Messe der wallonischen nationalen Identität. Die Wallonen, das sei eine Einheit, ein geeintes Volk.
Die N-VA applaudiert
Das sind schon etwas seltsame Töne. Und Demotte erntete prompt Applaus von der – aus seiner Sicht - wohl falschen Seite. Das sei doch wunderbar, jubelte der N-VA-Spitzenpolitiker Geert Bourgeois auf Twitter. "Ein wallonischer Nationalismus, ein geeintes wallonisches Volk" - die N-VA stehe für das gleiche in Flandern.
Demotte selbst sieht das ein bisschen anders. Also erstens: Es gebe Nationalismus und Nationalismus. Der flämische Nationalismus, das sei für Belgien so etwas wie ein Gift. Ganz im Gegensatz zum wallonischen Nationalismus, oder besser: zum "wallonischen Stolz". Der sei ein verbindendes Element in Belgien. Der wallonische Nationalismus stehe weder im Widerspruch zur Europäischen Idee noch zum belgischen Staatsgefüge.
Und doch reagiert man auf frankophoner Seite eher mit Kopfschütteln auf die Aussagen des wallonischen Ministerpräsidenten. Die liberale MR, auf frankophoner Seite in der Opposition, sprach von einem "Ablenkungsmanöver", um die internen Probleme in der Koalition zu kaschieren. Und dass auch noch die NV-A applaudiere, sei doch sehr bedenklich, sagte der MR-Politiker Willy Borsus in der RTBF.
Sogar in den Reihen der Mehrheit gab es Kritik. Diese Wortwahl sei "nicht ganz glücklich", hieß es etwa bei der CDH. Die Zentrumspartei warnt vor allem vor dem negativen Beigeschmack des Worts "Nationalismus".
Der Begriff "Nationalismus" sei absolut fehl am Platz, sagte auch Manu Disabato von ECOLO in der RTBF. Schon der französische Präsident François Mitterand habe gesagt: "Nationalismus, das ist Krieg". Im Übrigen gebe es keinen "positiven Nationalismus" und deswegen sei die Wortwahl denn auch in seinen Augen ungeschickt, sagte der ECOLO-Politiker.
Positiver Nationalismus, negativer Nationalismus - Demotte bleibt dabei. Die flämischen Nationalisten zeichneten sich dadurch aus, dass sie sich vom Anderen abgrenzen. Zugleich predigen sie die Mär, dass der Flame besser sei als der Wallone, strebsamer, eifriger, unternehmensfreudiger. Er hingegen, so sagte Demotte in der RTBF, er wolle die positiven Seiten, die Qualitäten eines jeden hervorheben, der Flamen, der Wallonen und der Brüsseler. Und er wolle dem Wallonen wieder das Selbstbewusstsein einhauchen, an dem es ihm viel zu häufig mangele, sagt Demotte.
Wallonisches Selbstbewusstsein
Damit können sich eigentlich auch viele Beobachter anfreunden. Den Wallonen Selbstbewusstsein einzuimpfen, sie um ein gemeinsames Projekt scharen zu wollen - prinzipiell sei das durchaus in Ordnung, sind sich die Leitartikler in den frankophonen Zeitungen einig. Aber "Nationalismus"? Noch dazu ein "positiver?". Die Zeitung Le Soir gibt zu bedenken, dass Demotte sich hier selbst widerspricht: Wenn er einen positiven Nationalismus predigt, der also besser sein soll als der flämische, dann sei das doch wieder eine Form der Abgrenzung, dann seien wir doch wieder beim Überlegenheitsprinzip.
Rudy Demotte, der in der Regel aalglatt ist, muss also im Moment Prügel von allen Seiten einstecken. Er selbst gab sich am Abend im RTBF-Fernsehen aber abgeklärt: Das sei doch ein Sturm im Wasserglas. Seine Absicht sei es doch nur, einen positiven Geist zu beschwören, eine wallonische Identität, die den Wallonen dabei helfen sollen, sich den heutigen Herausforderungen zu stellen.
Bild: John Thys (belga)
Sind Herrn Demotte da die Pferde durchgegangen oder war das gar eine Art Freud'scher Versprecher?
Für mich eine ganz klare Sache:
Wallonischer oder flämischer Nationalismus? Nein! Das ist wahres Gift für Belgien!
Flämisches oder wallonisches, von mir aus auch Brüsseler oder DG- Selbstbewusstsein? Ja, gerne!
Belgien lebt von und in seinen starken Regionen und Gemeinschaften. Das ist nun mal das Wesen dieses Landes. Auch wenn Stolz und Identität gerne als nicht mehr zeitgemäß abgetan werden: die Belgier können zurecht Stolz sein auf ihr Land und seine Geschichte und Menschen mit einer Identität sind mir persönlich lieber als Menschen, die von gar nichts überzeugt sind.
Ein sachliche Nationalismus- Debatte zu führen ist eh unmöglich geworden und sogar unerwünscht. Da spielt es auch keine Rolle mehr, ob Nationalismus auch etwas positives haben kann oder von vorneherein als negativ zu verstehen ist.
Echt witzig, dass Wallonien mit seinem beliebten Spielchen "jeder gegen jeden" (Lüttich gegen Charleroi, Sozis gegen den Rest der Welt usw) ausgerechnet einen eigenen Nationalismus haben soll.
Ich kann's mir beim besten Willen nicht vorstellen. Sollte ich mich irren, verweise ich auf François Mitterrand: "Le nationalisme, c'est la guerre" (Strassburg, 1995)