"Wir leben länger, wir bleiben auch länger gesund, also können wir auch länger arbeiten". Der CD&V-Abgeordnete im flämischen Parlament, Robrecht Bothuyne, redet in der VRT nicht um den Brei herum. So jedenfalls könne es nicht weitergehen.
Begonnen hat alles mit einer freien Tribüne in der Zeitung De Morgen, die Bothuyne zusammen mit seinem Parteikollegen Peter Van Rompuy verfasst hatte. "Junge Menschen aller Parteien, vereinigt Euch", appelliert Bothuyne auch auf seiner Webseite. "Junge Menschen" ... Bothuyne ist 33. Und er denkt an die Renten seiner Generation.
Simple Feststellung: Als das Pensionssystem ausgearbeitet wurde, belief sich die Lebenserwartung auf rund 65 Jahre. Inzwischen liegt sie bei 80 Jahren. Und doch sei das Renteneinstiegsalter bei 65 geblieben. Dabei wäre es doch logischer, wenn man das Renteneinstiegsalter der gesteigerten Lebenserwartung anpasse, findet Bothuyne.
"Lebenserwartung" - ein relativer Begriff, das wissen auch die beiden CD&V-Parlamentarier. Es geht nicht nur darum, wie lange man lebt, sondern auch, wie man bei Gesundheit ist. Sie sprechen denn auch ausdrücklich von der "gesunden" Lebenserwartung, von einem Leben ohne ernsthafte gesundheitliche Probleme. Diese "gesunde Lebenserwartung" liegt im Augenblick bei 69 Jahren.
Konkret schlagen die beiden Jungpolitiker jetzt also vor, das Renteneinstiegsalter stufenweise im 5 Jahres-Rhythmus anzuheben. 2018 wäre das 66 Jahre, 2023 wäre es 67, usw. In der Praxis würde das bedeuten: Wer heute unter 40 ist, der müsste wohl bis 70 arbeiten. Bothuyne und Van Rompuy inspirieren sich da an Vorbildern aus Skandinavien. In Norwegen arbeitet man anscheinend schon jetzt mitunter bis zum Alter von 70.
70 wäre auf Dauer das Renteneinstiegsalter, das man anvisieren müsse, sagte Robrecht Bothuyne in der VRT. Da müsse man aber natürlich genauer hinschauen, es dürfe keinen Automatismus geben. Man werde jedenfalls niemals von einem Straßenbauarbeiter erwarten, dass er bis 70 in seinem Job bleibe. Leute, die Büroarbeit verrichten, von denen könne man das hingegen verlangen.
"Wir machen das auch nicht, weil es uns Spaß macht", sagen die beiden Jung-Politiker. "Hier geht es schlicht und einfach um die Zukunft des Rentensystems." Im Augenblick gibt der Staat pro Jahr knapp 100 Milliarden Euro für die Pensionen aus. Die Vergreisung der Bevölkerung wird dazu führen, dass diese Zahl in den nächsten Jahrzehnten erheblich ansteigt. "Wenn wir so weitermachen, wie bisher, dann wird der Staat im Jahr 2060 für Renten und Gesundheitssystem fast 25 Milliarden Euro mehr hinlegen müssen. Wir sollten nicht nur an uns, sondern auch an unsere Kinder denken, und eben dafür sorgen, dass das System finanzierbar bleibt", sagt Robrecht Bothuyne.
Protest aus den eigenen Reihen
Trotz aller Zahlen und Prognosen - wer so etwas vorschlägt, der macht sich natürlich nicht sehr viele Freunde, angefangen bei der eigenen Partei. Der CD&V war der Vorstoß ihrer beiden Mitglieder eher peinlich. Parteichef Wouter Beke wollte sich gar nicht erst äußern. Es wurde also Sonia Becq vorgeschickt, eine Abgeordnete, die auf soziale Angelegenheiten spezialisiert ist.
Becq sieht erstmal ein Problem darin, dass in der Regel die gesetzlichen Normen systematisch unterschritten werden. Eine Durchschnittslaufbahn erstreckt sich im Durchschnitt auf 39 Jahre. "Wenn wir es schonmal schaffen, die Karrieren auf 45 Jahre zu strecken, dann brauchen wir am gesetzlichen Rentenalter gar nicht mehr herum zu schrauben", wird Sonia Becq zitiert.
Alexander De Croo, der Rentenminister höchstpersönlich, sieht das ähnlich. Nur zehn Prozent aller Belgier arbeiten bis zum Alter von 65. Hier müsse der Hebel angesetzt werden. Und so oder so ähnlich reagieren auch die übrigen Parteien, nach dem Motto: Erstmal sollten alle bis 65 arbeiten, danach sehen wir weiter.
Robrecht Bothuyne und Peter Van Rompuy haben es zumindest geschafft, das Thema nochmal auf die Titelseiten zu heben. Und nun steht plötzlich auch wieder eine andere Frage im Raum, die die Zeitung Het Nieuwsblad sogar als das wirklich zentrale Problem identifiziert. Es geht nicht nur darum, wie lange wir arbeiten, sondern auch, wie das in der Praxis funktionieren soll. Wie soll man bis 65 arbeiten, wenn man am Arbeitsmarkt ab 50 alt ist? Und auf diese Frage gibt es bislang noch nicht wirklich eine schlüssige Antwort ...
Bild: Philippe Bourget (belga)