Meine Damen und Herren,
vor fast 20 Jahren hat uns mein Bruder Baudouin verlassen und ich habe seine Nachfolge angetreten. Ihn und sein Andenken möchte ich noch einmal ehren. Ihm ist es gelungen, seine ausgeprägte Staatsmännigkeit und sein Pflichtbewusstsein zu verbinden mit einer wahren Güte, mit einer großen Einfachheit und mit der Sorge für die Schwächsten in unserer Gesellschaft.
Heute wende ich mich mit Rührung zum letzten Mal als König an Sie. Zwanzig Jahre lang und besonders noch einmal in den letzten Tagen haben Sie mich durch ihre Verbundenheitsbekundungen ermutigt in der Erfüllung meiner Pflicht. Dafür möchte ich Ihnen sehr herzlich danken.
Meine Erkenntlichkeit möchte ich auch einer Reihe von Menschen ausdrücken, die Verantwortung tragen in unserer Gesellschaft. Während meiner Regentschaft habe ich die Kompetenz, die Hingabe und den Sinn für konstruktive Kompromisse von sehr vielen Politikern und Politikerinnen geschätzt. Wenn auch unser Land nicht immer einfach zu regieren ist, so stellt doch seine Vielfalt, sein Pluralismus einen wertvollen demokratischen Reichtum dar.
Ich habe politisch Verantwortliche kennengelernt, die einen bemerkenswerten Sinn für das Allgemeinwohl an den Tag gelegt haben, und das unter teilweise schwierigen Umständen. Jüngste Beweise sind die Abkommen über die Staatshaushalte 2013 und 2014, der erzielte Kompromiss über das Einheitsstatut für Arbeiter und Angestellte oder die ausgearbeiteten Lösungen bezüglich der Stromversorgung des Landes.
Diese jüngst getroffenen Abkommen, zusammen mit den vorherigen über die Staatsreform und auch die im sozial-wirtschaftlichen Bereich haben Belgien einen neuen Elan gegeben, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Das erlaubt es uns, vertrauensvoll in die Zukunft zu blicken.
Würdigen möchte ich auch den Öffentlichen Dienst in seiner Gesamtheit. Ich denke da besonders all jene Soldaten, die in Friedensmissionen überall auf der Welt gedient haben oder das noch tun.
Darüber hinaus sind wir mit vielen Verantwortlichen aus der Wirtschaft und Vertretern der Sozialpartner in Kontakt gekommen, die in einer immer mehr globalisierten Welt Dynamik an den Tag gelegt haben und die sich zugleich bemüht haben, die soziale Dimension unserer wirtschaftlichen Entwicklung zu fördern und zu erhalten. Sie haben gerade erst noch einmal ein schönes Beispiel geliefert. In Krisenzeiten ist so etwas umso schwieriger zustande zu bringen, es bleibt dafür aber von grundlegender Bedeutung.
Die Königin und ich waren auch entzückt von unseren Kontakten mit der Welt der Kultur, die eine erstaunliche Kreativität hervorbringt, die darauf zurückzuführen ist, dass unser Land umgeben ist von verschiedenen großen Kulturen.
Und schließlich sind die Lebendigkeit und die Großherzigkeit der Vereinswelt ein großer Trumpf für Belgien. Unser Land verfügt über viele Talente, auf die wir stolz sein können.
Jetzt, wo ich aus meinem Amt scheide, werden Sie mich vielleicht fragen, welche meine Wünsche für die Zukunft sind. Nun, deren gibt es viele, ich will aber vor allem vier hervorheben.
Erstens: Auf dass Belgien seinen Zusammenhalt bewahren möge. Das Land hat sich in den letzten rund 40 Jahren gewandelt, auf friedliche und demokratische Art und Weise, von einem Einheitsstaat hin zu einem Bundesstaat, in dem die Gliedstaaten über eine sehr breite Autonomie verfügen. Mit der Umsetzung der sechsten Staatsreform wird diese Autonomie noch einmal erheblich gestärkt. Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch einmal ausdrücklich die enorme Arbeit würdigen, die die Regierung und ihre Mitarbeiter in den letzten Monaten vollbracht haben.
In einer sich schnell verändernden Welt ist es wichtig, dass jede öffentliche Verantwortung auf dem Niveau ausgeübt wird, das am angemessensten und effizientesten ist. Auch bin ich davon überzeugt, dass die Wahrung des Zusammenhalts unseres Föderalstaats lebenswichtig ist, nicht nur wegen der Qualität unseres Lebens im Miteinander, das Dialog erforderlich macht, sondern auch für den Erhalt unser aller Wohlstands.
Zweitens: Auf dass wir weiterhin fest an Europa glauben. In der heutigen Welt ist dieser europäische Aufbauprozess mehr denn je nötig. In vielen Bereichen können die Herausforderungen allein noch auf europäischer Ebene angepackt werden, nur auf diesem Niveau können gewisse Werte bestmöglich verteidigt werden. Ich denke da an den Reichtum der Vielfalt, an den demokratischen Pluralismus, an Toleranz, an Solidarität und an den Schutz der Schwächsten.
Dabei ist es aber von wesentlicher Bedeutung, dass das europäische Projekt mehr sein muss als ein rein haushaltspolitisches Projekt, dass es auch den Nachdruck auf nachhaltiges Wachstum legt, auf Beschäftigung, auf Zukunftsperspektiven für junge Menschen, auf soziale Gerechtigkeit und auf die Kultur.
Unser Land sollte ein Motor einer europäischen Integration sein, wo die Demokratie und der Mensch im Mittelpunkt stehen. Unser Pragmatismus, unser Sinn für Ausgewogenheit und unsere Offenheit anderen gegenüber sind wichtige Qualitäten, um diese Ziele zu erreichen. Hinzu kommt: Wir haben das Glück, dass die wichtigsten europäischen Institutionen im Herzen unseres Landes angesiedelt sind.
Drittens: Auf dass wir, selbst in Krisenzeiten, offen bleiben für die Belange der Entwicklungsländer. Wir Belgier sollten vor allem unsere Aufmerksamkeit auf Zentralafrika richten, eine Region, mit der wir so viele Beziehungen geknüpft haben, und die im Augenblick so viele schwierige Prüfungen bestehen muss.
Zum Abschluss ein Wunsch, der mir als König und als Vater sehr am Herzen liegt: Arbeiten Sie aktiv mit dem zukünftigen König Philippe und mit der zukünftigen Königin Mathilde zusammen. Sie bilden ein herausragendes Paar, unserem Land zu Diensten, und genießen mein vollstes Vertrauen.
Was die Königin und mich selbst betrifft: Wir werden uns weiterhin, ab jetzt nur mit gewisser Diskretion, für all das interessieren, was sich in unserem Land abspielt, in dem Land, das wir so sehr lieben.
Bearbeitung: Roger Pint - Bild: Olivier Polet (belga)