In dieser Woche wurde in Belgien Geschichte geschrieben. Der 3. Juli 2013 wird auf immer der Tag bleiben, an dem König Albert der Zweite das ganze Land überrascht, um nicht zu sagen "aufgeschreckt" hat. Er wird zum ersten belgischen König, der freiwillig abdankt. Prinz Philippe wird am 21. Juli, am Nationalfeiertag also, als neuer König der Belgier den Eid auf die Verfassung ablegen.
Vor allem auf flämischer Seite wollen einige Parteien den anstehenden Thronwechsel zum Anlass nehmen, um die künftige Rolle des Königs noch einmal zu überdenken, sie gar auf ein Minimum zu reduzieren. Doch nicht alles, was logisch klingt, ist dafür automatisch auch richtig.
"Erbliche Monarchie", man muss nicht erst im einundzwanzigsten Jahrhundert angekommen sein, um mit diesem Konzept prinzipiell so seine Probleme zu haben. Dass allein die Tatsache ausreicht, in der richtigen Wiege gelegen zu haben... naja, mit Demokratie hat das nichts zu tun.
"Wir wollen, dass die Demokratie, die Stimme des Volkes, künftig vollends zum Tragen kommt", fordert denn auch die N-VA, die derzeit unangefochten stärkste politische Kraft des Landes, die zugleich eine Lanze für die Republik bricht. Wohlwissend, dass es dafür in Belgien bislang keine Mehrheit gibt, verlangt man stattdessen, dass wenigstens die Macht des Königs auf ein Minimum zusammengestaucht wird. Schwarz-gelb-rote Bändchen durchschneiden als das höchste der royalen Gefühle. Und die meisten flämischen Parteien schließen sich mehr oder minder zumindest dieser Forderung an: Protokollarische Monarchie, so lautet das Zauberwort, das Belgien ins einundzwanzigste Jahrhundert befördern soll. Untermauert wird das Ganze mit dem argumentativen Holzhammer, eben mit Schlagworten wie Demokratie, Modernität, Vernunft...
Wenn auch die Demokratie im Prinzip nicht verhandelbar ist, so sind ideologische Scheuklappen, die man noch dazu dann aufsetzt, wenn es einem gerade passt, in diesem Fall schlicht und einfach scheinheilig. Erstmal muss man wissen, was denn mit "protokollarisch" gemeint ist.
"Protokollarisch", darunter kann man verstehen, dass es nicht sein darf, dass noch einmal ein König daherkommt, der allein im stillen Kämmerlein eine demokratische gefällte Entscheidung blockiert. König Baudouin hat das 1990 gemacht, als er das Gesetz zur Legalisierung der Abtreibung nicht gegenzeichnen wollte.
"Protokollarisch", das kann auch heißen, dass man ein Problem damit hat, dass ein Premierminister und seine Regierung vor dem König den Eid ablegen.
"Protokollarisch", das kann aber auch bedeuten, dass der König bei der Regierungsbildung keine Rolle mehr spielen darf. Genau das schwebt insbesondere der N-VA vor, wenn sie eine "rein protokollarische" Monarchie ins Spiel bringt. Und zumindest aus Sicht der N-VA ist das nur konsequent.
Der König ist Impulsgeber und Pausentaste zugleich. Seine "Macht" besteht, wenn überhaupt, dann darin, der Inbegriff der Kontinuität zu sein: Wenn nach einem Knall der Palast auf allen Bildschirmen zu sehen ist, dann heißt das: Hinter diesen Mauern wird an einer Lösung gearbeitet. Diese Lösung, wenn sie denn kommt, ist freilich nie ein Diktat des Königs. Wenn das so wäre, dann gäbe es längst keinen König mehr. Der König kann nur nach Schnittmengen suchen; Schnittmenge, das heißt immer auch Kompromiss. Diesen Kompromiss, der in einer Demokratie per se die Grundlage des politischen Handels ist, den können und dürfen aber am Ende nur die demokratisch gewählten Politiker schmieden.
Fakt ist wohl: Ohne den König als Geburtshelfer, als neutralen Schlichter, als Schiedsrichter über der Mêlée hätte die Krise nie 541 Tage gedauert, schlicht und einfach, weil die N-VA schon nach 50 Tagen einseitig das Ende des Landes verkündet hätte, nach dem Motto "Patt! Politischer Stellungskrieg! Keine Schnittmenge möglich! Land unregierbar".
Open-VLD-Altmeister Patrick Dewael hatte denn auch vollkommen recht, als er während der Debatte über die Rolle des Königs vor separatistischen Abenteuern warnte. Denn nichts anderes führt die N-VA hier im Schilde. Und wenn andere Parteien diese Forderung mittragen, dann unterstützen sie de facto die perfide Agenda der Nationalistenpartei.
Wer dagegen hält, dass der Zusammenhalt des Landes nicht von einem einzigen Menschen abhängen kann, der noch dazu aufgrund seines Geburtsrechts zum König bombardiert wurde, auch der greift zu kurz. Wenn das Land noch zusammenhält, dann, weil seine Bürger nicht die Spaltung wollen. Es gibt keine Umfrage, die das Gegenteil sagt. Und wenn selbst die Hälfte der Flamen die N-VA wählen würde - erstens ist das, so lange man das nicht ausdrücklich so sagt, kein reines Votum für eine Spaltung, und zweitens: Es gibt da immer noch die andere Hälfte, von den anderen Landesteilen mal ganz abgesehen. Die N-VA scheint im Übrigen häufiger mal Mehrheit mit "absoluter" Mehrheit zu verwechseln. Und selbst eine absolute Mehrheit darf die Minderheit nicht plattwalzen - Ägypten und die Türkei sind Anschauungsbeispiele dafür.
Das politische Spielfeld in Belgien braucht jedenfalls einen neutralen Schiedsrichter. Und das kann nur der König sein. Oder, anders herum gefragt: Wer sonst? Der Kammerpräsident? Der Senatspräsident? Nun, wenn das so wäre, dann würde es beim nächsten Mal wohl noch länger als 541 Tage dauern, ehe man sich nur auf diesen einen Namen verständigt hat. Gespalten würde das Land zumindest im Augenblick allein durch seine Politiker. Und die brauchen offenbar jemanden, der sie vor sich selber schützt, oder sollte man sagen: Der in letzter Instanz die Interessen des Landes und seiner Bürger repräsentiert.
"Repräsentiert". Das ist allerdings das entscheidende Wort. König Albert hat seinem Sohn und Nachfolger die wohl wichtigste aller Maximen mit auf den Weg gegeben: Der König steht immer nur im Dienste der Demokratie und seiner Bürger; diese Bürger sind der einzig wahre Souverän. Dieser Satz muss immer das Handeln des neuen Königs bestimmen. Er ist von Volkes Gnaden, er kann sich nicht gegen einen demokratisch getroffenen Beschluss stellen.
Wenn König Philippe das beherzigt, wenn er sich peinlichst genau innerhalb der von der Verfassung gesetzten Grenzen bewegt, dann gräbt er den Befürwortern einer grundlegenden Reform der Rolle des Königs das Wasser ab. Was ja nicht heißt, dass das Königshaus nicht "moderner" werden kann. "Die alten Zöpfe müssen ab!"... Klar! Man muss nur aufpassen, dass man da bei allem Eifer nicht am Ende den Kopf gleich mit abschneidet...