Beim Thema Lohndumping reagiert Belgien derzeit besonders kratzbürstig. Das bekamen unsere Nachbarn in Deutschland erst kürzlich zu spüren. Im April hatte die belgische Regierung Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt.
Was war passiert? Arbeitsministerin Monica De Coninck und Wirtschaftsminister Johan Vande Lanotte (SP.A) hatten deutsche Schlachthöfe besucht. Und was sie dort zu sehen bekamen, gefiel den beiden gar nicht: Viele osteuropäische Arbeitnehmer die dort für Dumpinglöhne Tiere zerlegen. Vande Lanotte und De Koninck vermuten, dass die Verhältnisse in der fleischverarbeitenden Industrie europäischem Recht widersprechen. Die Folge seien Wettbewerbsverzerrung und Nachteile für die belgische Fleischindustrie.
Drei Monate später ist das Thema Lohndumping aber auch bei uns in Belgien auf die Tagesordnung gerutscht. Das jedenfalls behauptet Le Soir in seiner heutigen Ausgabe. Nach Informationen der Zeitung, sei die Zahl ausländischer Arbeitnehmer in Belgien gestiegen. Knapp 340.000 Anträge auf zeitlich befristete Beschäftigung seien 2011 eingereicht worden. Das seien 120.000 mehr als noch zwei Jahre zuvor. Eine Steigerung von mehr als 50 Prozent. Dabei sind es hier nicht die Zustände in den Schlachthöfen, die Anlass zur Besorgnis geben, sondern die auf den belgischen Baustellen. Auch hier sind es osteuropäische Zeitarbeitsfirmen die ihre Arbeiter auf die Baustellen schicken. Die Lohnkosten liegen bei etwa 20 Euro pro Stunde und damit bei der Hälfte dessen, was ihre belgischen Kollegen kosten. Damit das überhaupt möglich ist, arbeiten die Zeitarbeitsfirmen mit illegalen Mitteln, sagt der Abgeordnete David Clarinval von der liberalen MR. Das sei unlauterer Wettbewerb und Sozial-Dumping und vergifte die belgische Wirtschaft. Ein Missstand, der auch auf fehlende Kontrollen zurückzuführen sei.
Arbeitsministerin Monica De Coninck von der SP.A. sieht das auch so. Zwar gebe es die sogenannte Meldepflicht, doch um die ganzen Fälle kontrollieren zu können, müssten die Verwaltungen der verschiedenen Länder besser zusammenarbeiten. Der Informationsaustausch zwischen den Ländern müsste besser werden. Die Ministerin erwartet Unterstützung von der Europäischen Union. Diese hatte 1996 mit einer Richtlinie die Entsendung von Arbeitnehmern ins Ausland arbeitsrechtlich geregelt und damit erst möglich gemacht.
Einfach ausgedrückt erhält der Arbeiter den gleichen Lohn wie seine Kollegen im Gastland. Im Gegenzug werden die sozialen Lasten im Ursprungsland abgeführt. Und das ist schwer zu kontrollieren. Bislang nutzen die Unternehmen die Lücken im System. Fiktive Unternehmenssitze im Ausland, Dokumentenfälschung, fehlende Steuer- und Sozialversicherungserklärungen. Am Ende ist brutto gleich netto, und der ausländische Arbeiter günstiger als der Belgische.
Unterdessen ist man hierzulande aber nicht untätig geblieben. 2012 wurden einige Sozialinspektoren in der Materie weitergebildet. Ein erster Erfolg konnte schon erzielt werden. 7.5 Millionen Euro wurden im vergangenen Jahr durch Regularisierung der Arbeitsverhältnisse eingenommen. Arbeitsministerin Monica De Coninck plant ebenfalls elektronische Register auf den Baustellen verpflichtend einzuführen. Nichtsdestotrotz. Die Ministerin bleibt dabei. Das Problem müsse gesamteuropäisch angepackt werden. Der Besuch in den deutschen Schlachthöfen scheint bei ihr jedenfalls einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen zu haben.
Archivbild: Kristof Van Accom (belga)