Nicht der Haushalt, nicht das Einheitsstatut, es ist eine ethische Frage, die sich zur Zerreißprobe für die Regierung entwickelt: die Ausweitung der Möglichkeit der aktiven Sterbehilfe auf Minderjährige.
Seit Monaten schwelt die Angelegenheit im Parlament. Es gab Anhörungen von Experten und Betroffenen im Senat, hinter den Kulissen wurden Kompromisslinien ausgelotet.
Und längst war klar, dass die Zentrumsparteien - die CD&V, bei der das C noch für christlich steht, und auch die CDH, die zwar offiziell nicht mehr die alte PSC ist, ihre christliche Grundausrichtung dafür aber auch nicht vollends aufgegeben hat - grundsätzliche Bauchschmerzen haben, wenn es um Euthanasie für Kinder und Jugendliche geht.
Umso überraschender kam denn auch der Vorstoß der beiden liberalen und der beiden sozialistischen Parteien. Vier Senatoren stellten vor der Presse gemeinsam eine Reihe von Gesetzesvorschlägen vor. Damit soll die rechtliche Grundlage für die Ausweitung der bisherigen Euthanasie-Regelung gelegt werden, die inzwischen schon etwas mehr als zehn Jahre alt ist.
Mindestalter verlangt
Die Grundbedingung, die PS, MR, OpenVLD und SP.A formulieren, ist dieselbe wie bei Erwachsenen: Der Patient muss an einer unheilbaren Krankheit leiden, im terminalen Stadium, begleitet von konstanten und unerträglichen körperlichen oder geistigen Schmerzen. Und er muss ausdrücklich einen Antrag stellen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Natürlich müssen in erster Linie auch die Eltern mit dem Schritt einverstanden sein.
Doch kann man einem Minderjährigen eine solche Entscheidung überhaupt zumuten? Genau das muss erst beurteilt werden, sagte der OpenVLD-Senator Jean-Jacques De Gucht in der VRT. Ein Minderjähriger, der möchte, dass man seinem Leiden ein Ende setzt, müsse zunächst urteilsfähig sein. Ein Arzt müsse bewerten, ob der Betreffende geistig überhaupt dazu in der Lage ist, die Tragweite seines Ansinnens einzuschätzen - das Konzept "Tod" zu erfassen und einzuordnen.
Hier wird grundsätzlich kein absolutes Neuland betreten, betont der SP.A-Senator Guy Swennen. Schon jetzt haben Minderjährige die Möglichkeit, die Einnahme eines Medikaments zu verweigern, selbst wenn es überlebensnotwendig ist.
Die christdemokratische CD&V pocht indes weiter darauf, dass man - wenn überhaupt - dann nur einer Euthanasie-Regelung für Minderjährige zustimmen kann, wenn man ein Mindestalter vorsieht. 15 Jahre etwa. Wer jünger ist, der könne doch gar nicht einschätzen, was Tod bedeutet. Die CDH verweigert sich ihrerseits vollends der Diskussion. Die Angelegenheit stehe nicht im Koalitionsabkommen, und was nicht im Regierungsvertrag steht, darüber muss man gar nicht reden, sagen die frankophonen Zentrumshumanisten.
CDH und CD&V not amused
Entsprechend sind beide Parteien jetzt nicht begeistert, dass die Mehrheitspartner quasi an ihnen vorbei einen solchen Vorstoß gemacht haben. Nach all diesen Anhörungen im Senat hat man uns am Ende gar nicht mehr einbezogen, beklagte der CDH-Senator Francis Delpérée. Er sei immer davon ausgegangen, dass man eine Mehrheit innerhalb der Koalition finden wollte. Er könne nur feststellen, dass Liberale und Sozialisten sich stattdessen innerhalb der Opposition auf Stimmenfang machen, also unter anderem bei der N-VA.
"Das macht die Sache nicht leichter", aus dem Mund eines Mannes wie Francis Delpérée mit seiner fast sprichwörtlichen Diplomatie ist das eine Drohung. Sein CD&V-Kollege Pieter De Crem dagegen will nicht eine Sekunde über die Möglichkeit nachdenken, dass Liberale und Sozialisten das Gesetz am Ende mit einer Wechselmehrheit verabschieden könnten.
De Crem geht davon aus, dass allen Beteiligten eins klar ist, nämlich dass die stärkste flämische Regierungspartei in dieser Sache ein Wörtchen mitreden will, kann und das auch tun wird. Nach dem Motto "Bist Du nicht willig, dann brauch' ich Gewalt".
Wo ist das Problem?
Liberale und Sozialisten geben sich unbeeindruckt. "Mein Gott, wo liegt denn das Problem?", fragte sich etwa der PS-Senator Philippe Mahoux in der RTBF. Sprechen wir eben nicht von der klassischen parlamentarischen Mehrheit (die die Regierung trägt), sondern von einer Mehrheit der Parlamentarier. Bei ethischen Fragen sei es ohnehin traditionell immer so gewesen, dass jeder Abgeordnete nach seinem ganz persönlichen Gewissen entscheidet, ohne Fraktionszwang.
Die MR-Senatorin Christine Defraigne sieht das ähnlich. "Wir müssen hieraus doch keine gleich wie geartete Gretchenfrage machen. Aus der beruflichen Praxis heraus ist ein Bedarf signalisiert worden. Und der Senat nimmt als Gesetzgeber nur seine Verantwortung wahr."
Die Grünen und die N-VA signalisieren Zustimmung. Und das sozialistisch-liberale Zweckbündnis will das Gesetz anscheinend noch vor der Sommerpause durchs Parlament boxen. Auf Biegen und Brechen? Es mag im Moment so aussehen.
Archivbild: Nicolas Lambert (belga)