Vor genau 30 Jahren herrschte ein Klima der Angst in Belgien. Eine skrupellose Bande sorgte für Angst und Schrecken: Männer, die in Supermärkte stürmten, die Kasse ausräumten, dabei aber wild um sich schossen. Die so genannten "Killer von Brabant" töteten zwischen 1982 und 1985 insgesamt 28 Menschen.
Die blutigsten Vorfälle gab es im Herbst 1985 in Overijse und Aalst. Der brutale Überfall auf die Delhaize-Filiale in Aalst am 9. November 1985 mit acht Toten war der schlimmste in der Serie und zugleich der letzte. Danach hat man nie wieder etwas von der Bande gehört. Für die Ermittler ist das der entscheidende Moment, auf den sie sich konzentrieren: Warum hat die Bande ihre Aktivität eingestellt? Ist vielleicht, wie immer wieder gemutmaßt wurde, ihr Anführer nach der Attacke in Aalst bei der Verfolgungsjagd mit der Polizei von einer Kugel tödlich verletzt worden?
Ermittlungen manipuliert
Der Fall ist bis heute nicht gelöst. Und das kann daran liegen, dass die Ermittlungen manipuliert waren, gezielt sabotiert wurden. Das jedenfalls ist die Überzeugung der Untersuchungsrichterin von Charleroi, Martine Michel. Manipuliert, weil die entscheidenden Beweisstücke Fragen aufwerfen.
Erwiesen ist, dass die Täter sich in ein Waldstück in der Nähe von Braine-le-Comte zurückgezogen haben. Dort fand man das ausgebrannte Fluchtfahrzeug. 1986, ein Jahr nach der letzten Attacke der Killerbande, fand man im Ortsteil Ronquière im Kanal Brüssel-Charleroi, unweit von diesem Wald, die Waffen der Täter in einem Sack. Die Waffen ermöglichten es, eine Verbindung zwischen den einzelnen Taten herzustellen. Nach 1983 hatten die blutigen Supermarkt-Überfälle nämlich urplötzlich aufgehört. Erst zwei Jahre später begann das Grauen von vorn. Der Waffenfund von 1986 lieferte also den materiellen Beweis: In beiden Fällen handelte es sich um dieselben Täter, oder genauer gesagt: Es waren dieselben Waffen.
Da gibt es nur ein Problem: Man ging bislang davon aus, dass die Beweisstücke ein Jahr im Wasser gelegen haben. In einigen Fällen könne das aber nicht stimmen. Wer also hatte ein Interesse daran, die Beweislage zu manipulieren, fragt sich die Untersuchungsrichterin.
Waffenfund ein Schlüsselmoment
Der Waffenfund von 1986, das ist also ein Schlüsselmoment, ein zentrales Beweisstück. Darauf aufbauend nehmen die Ermittlungen ihren Lauf. Mit dem bekannten Ergebnis: die Killer bleiben die ewigen Phantome der Belgischen Kriminalgeschichte.
2009 wird in Charleroi eine neue SOKO mit dem Fall betraut. An der Spitze steht die Untersuchungsrichterin Martine Michel. Die neue Equipe will zwar nicht bei Null anfangen. Nichts desto trotz werden zentrale Elemente der bisherigen Ermittlungsarbeit noch einmal neu überprüft, Beweise quasi gege das Licht gehalten.
Das gilt unter anderem auch für die Waffen, die 1986 im Kanal entdeckt wurden. Die Beweisstücke werden noch einmal untersucht, und zwar durch das Nationale Kriminalistik-Institut INCC. Erster Test: Man nehme vergleichbare Waffen, stecke sie in einen vergleichbaren Sack und lege sie für einen vergleichbaren Zeitraum in Flusswasser ein. Das Ergebnis war erschütternd, wie vor einigen Wochen auch Pierre Magnien, Prokurator des Königs von Charleroi in der RTBF erklärte. Nach dem Befund des INCC kann der Sack höchstens ein bis zwei Monate dort gelegen haben, bevor er entdeckt wurde. Das bedeutet, dass ihn die Täter dort nicht deponiert haben können. Zumindest nicht gleich nach ihrer letzten Tat.
Das bringe die gesamte Ermittlungsarbeit in wanken, sagte auch Untersuchungsrichterin Michel. Und deswegen auch der Verdacht der Manipulation. Wenn wirklich manipuliert wurde, dann stellt sich Frage: WER hat manipuliert? Damit rückt die Vorgänger-SOKO in den Blickpunkt, das Delta-Team von Dendermonde, das jahrelang in der Sache ermittelt hat. Die früheren Verantwortlichen wollen diesen Verdacht aber nicht auf sich sitzen lassen: Total absurd sei das Ganze, sagte der inzwischen pensionierte frühere Untersuchungsrichter Freddy Troch in der VRT. Total absurd, dass es überhaupt jemand wagt, so etwas zu denken, also zu glauben, dass er oder sein Team in irgendeiner Weise die Killer geschützt habe.
Anzeige gegen Justizbehörden von Charleroi
Der Verdacht der Ermittler von Charleroi hat jedenfalls seine Wirkung nicht verfehlt. Eddy Vos, ebenfalls Mitglied des früheren Ermittlerteams, hat nach eigenen Angaben die Justizbehörden von Charleroi angezeigt. Er habe Todesdrohungen bekommen, gehe nur noch bewaffnet aus dem Haus. Schuld sei Charleroi: Die neuen Ermittler verbreiten verbogene falsche Informationen. Die kämen auch der Szene zu Ohren, Kriminellen, die den Ermittlern, eben auch Eddy Vos, mitunter als Tippgeber dienten. Und diese Falschmeldungen sorgten jetzt für Unruhe und damit werde sein Mandant in Gefahr gebracht, sagt Sven Mary, Anwalt von Eddy Vos.
Es gibt auch noch eine zweite Klage gegen die Justizbehörden von Charleroi, ebenfalls von einem früheren Ermittler. Man spricht schon wieder von einem "Krieg der Polizeidienste"...
Gutes oder schlechtes Zeichen. Diese Frage ist nicht zu beantworten. Jean-Paul Macau, der seinerzeit von den Killern verletzt wurde, ist insgesamt aber eher zuversichtlich: Manipulation, das setze doch voraus, dass jemand die Macht hatte, das zu tun. Wenn man dieser Spur folge, dann sei es jedenfalls denkbar, dass man die Täter doch noch findet. Wer hat manipuliert: hier liege der Schlüssel.
Martine Michel beteuert, dass die Ermittlungen Fortschritte machen. Man habe Namen, aber eben noch keine ausreichenden Beweise, sagte Michel, ansonsten hätte es schon Festnahmen gegeben.
Viel Zeit haben die Ermittler aber nicht mehr. 2015 wird der Fall verjähren. Gibt es bis dahin keine wirklich griffigen Ergebnisse, dann dürfte diese Frist auch nicht mehr verlängert werden.
Archivbild: belga