"Erst hatten wir kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu". Mit diesem Zitat hat sich nicht nur der Ex-Fußballprofi Jürgen Wegmann unsterblich gemacht. Der Satz könnte auch als das Leitmotiv des belgischen Katastrophenschutzes durchgehen.
"Erst hatten wir kein Glück": Das stimmt so nicht, zumindest nicht immer. Es ist nicht das erste Mal, dass sich in der Rue de la Sauvenière in Spa ein spektakulärer Unfall ereignet. 1986 passierte fast exakt dasselbe, als hätte sich die Geschichte quasi eins zu eins wiederholt.
Auch am jenem 13. Oktober 1986 versagten die Bremsen eines LKW, auch dieser Lastwagen geriet außer Kontrolle, verwandelte sich quasi in einen Straßen-Torpedo, bevor er buchstäblich in eine Häuserwand "einschlug". In das Nachbarhaus des Gebäudes, das am vergangenen Dienstag getroffen wurde. Damals gab es drei Tote.
Die älteren Einwohner von Spa erinnern sich noch an einen ähnlichen Unfall 1946. Ganz zu schweigen von dem furchtbaren Unglück in Stavelot, quasi um die Ecke, wo 1998 ein Lastwagen unter vergleichbaren Umständen ins Tal donnerte, ebenfalls in eine Fassade krachte und explodierte. In Stavelot hat man inzwischen reagiert. Dort ist es für LKW unmöglich, die Unglückstraße von damals ("Haute levée") noch zu benutzen. Dort gibt es Straßenbrücken und Schikanen. In Spa hat man offensichtlich nichts gelernt. Zyniker würden sagen: "Es gab wohl noch nicht genug Tote".
Dass sich hier Gemeinde und Region gegenseitig den Schwarzen Peter unterschieben wollen, zumal Bürgermeister Houssa seit Jahrzehnten im Amt ist, das ist einfach nur jämmerlich. Als würde es für den Bürger einen Unterschied machen, wer denn jetzt für die Straße zuständig ist. Das ist leider so typisch für dieses Land: Man versteckt sich allzu gerne hinter der komplexen institutionellen Realität - was aber einem Armutszeugnis für die Politik gleichkommt, zeigt sich doch in solchen Momenten, dass Paragrafen offensichtlich wichtiger sind als Menschenleben.
Flamen sind auch nur Belgier ...
Immer diese politischen Spielchen! Immer diese Parteipolitik! Immer diese verzweifelte Suche nach einem Schuldigen, der natürlich immer in den Reihen des jeweiligen politischen Gegners sitzt. Die flämische politische Klasse hat da in dieser Woche ein Musterbeispiel abgeliefert. Im Kreuzfeuer der Kritik stand der Provinzgouverneur von Ostflandern, Jan Briers. Man warf ihm insbesondere sein angeblich amateurhaftes Krisenmanagement vor, gepaart mit einer Kommunikation, die man als widersprüchlich - um nicht zu sagen chaotisch - bezeichnen kann. Niemand musste daran erinnert werden, dass es die N-VA war, die den Mann ins Amt gehievt hat.
Dieser N-VA-Stempel hat die Debatte gleich vergiftet. Für die einen war es eine Einladung, den Mann an den Pranger zu stellen. Die anderen - sprich: die N-VA - wiesen ihrerseits prinzipiell jegliche Kritik zurück. Dabei warf die N-VA den politischen Gegnern genau das vor, was sie selbst in Perfektion praktiziert, eben: politische Spielchen zu spielen. Der Wahrheitsfindung diente das Ganze jedenfalls nicht, mal ganz davon abgesehen, dass es für solche Debatten ohnehin viel zu früh war.
Fast schon bemerkenswert, dass die Frankophonen sich da vornehm zurückgehalten haben. Entgegen der allgemeinen Wahrnehmung hat Innenministerin Joëlle Milquet dem gescholtenen Gouverneur sogar immer den Rücken gestärkt, N-VA-Stempel hin oder her. Dabei muss es in den Ohren der Bürger von Wetteren fast lächerlich geklungen haben, dass Milquet von einer "außerordentlich guten Zusammenarbeit" sprach, während auf dem Terrain alles drunter und drüber ging.
Aber immerhin war die Föderalregierung zumindest vor Ort, von der flämischen Regierung hat sich keiner blicken lassen. Man wollte wohl den Eindruck vermeiden, in irgendeiner Weise zuständig zu sein. Dann wäre es nämlich vorbei mit der Mär, dass Flandern quasi per Definition alles besser hinbekommt als die einst nationale Ebene, zumindest ist das ja der Anspruch.
Insofern bleiben auch die Flamen Belgier, ob sie nun wollen oder nicht, zumindest wenn man die belgische Krankheit - sich beizeiten in den institutionellen Dschungel zu retten, in jenen Wald, den man vor lauter Bäumen nicht mehr sieht - zum Maßstab nimmt. Verantwortung übernehmen? Fehlanzeige. Das gilt auch für die Nachbereitung. Nach den obligatorischen politischen Schaukämpfen geht man allzu schnell und gerne wieder zur Tagesordnung über.
Fehlende Krisenkultur
Beispiel gefällig? Vor fast zehn Jahren explodierte in Ghislenghien eine Gaspipeline. Es gab 24 Tote, über 100 zum Teil schwer Verletzte, die mitunter für ihr Leben gezeichnet sind. Ursache war wie sich später herausstellte der unfassbare Umstand, dass kaum jemand von der Existenz der Pipeline wusste, mit dem Resultat, dass sie bei Bauarbeiten beschädigt wurde. Mit fatalen Folgen. Vor einigen Wochen musste die Autobahn E40 für mehr als einen Tag vollgesperrt werden. Der Grund: ein Leck in einer Gasleitung, die offenbar bei Bauarbeiten beschädigt wurde. Es gebe immer noch kein vollständiges Register der wichtigen Gasleitungen in diesem Land, hieß es dann.
Katastrophen haben in Belgien also längst nicht immer mit fehlendem Glück zu tun. Und dann kommt noch mal das Pech hinzu, dass "professionelles Krisenmanagement" in Belgien ein Fremdwort ist. Das haben die Behörden dieses Landes in dieser Woche von mehreren Experten nochmal schriftlich bekommen. Es gibt keine "Krisenkultur", bei jedem neuen größeren Zwischenfall muss das Rad neu erfunden werden. Es fehle auf allen Ebenen an Professionalität, sagen Fachleute. Das ist im Grunde auch nichts Neues, jede Katastrophe liefert den Beweis.
Dass es nicht noch schlimmer gekommen ist, ist oft nur der Opferbereitschaft und Hingabe der Rettungskräfte zu verdanken. Im Gegensatz zur Politik übernehmen wenigstens sie trotz aller strukturellen und materiellen Widrigkeiten ihre Verantwortung. Zum Glück!