"Wonen in eigen streek" ("Wohnen in der eigenen Region"): An diesem Dekret scheiden sich einmal mehr die flämischen und frankophonen Geister. Durch dieses Dekret wird der Wohnungs-Markt in einigen flämischen Gemeinden ("Zielgemeinden") geregelt.
Zu diesen "Zielgemeinden" gehören Kommunen vor allem im flämischen Rand um Brüssel, in denen die niederländischsprachige Bevölkerung schon in der Minderheit oder nicht mehr weit davon entfernt ist.
Das Dekret soll dafür sorgen, dass die Gemeinde nicht ihren ursprünglichen Charakter verliert, dass das gesellschaftliche Gewebe nicht zerreißt. Konkret will man dafür sorgen, dass die einheimische Bevölkerung nicht von Zugezogenen verdrängt wird.
Ein Problem im Brüsseler Rand (auch in Ostbelgien nicht unbekannt): Die Immobilien- und Grundstückpreise sind in den letzten Jahren dermaßen in den Himmel geschossen, dass es für die Kinder der alteingesessenen Bürger finanziell gesehen quasi unmöglich wird, in ihrer Heimat wohnen zu bleiben. Ihren Platz nehmen dann finanzkräftige Menschen ein, deren Lebensmittelpunkt Brüssel ist, die oft eine andere Sprache sprechen, die jedenfalls keinen wirklichen Bezug zu ihrer neuen Heimatgemeinde haben. Nach dem Motto: Es könnte auch der Nachbarort sein, Hauptsache, man fühlt sich wohl.
"Ausreichender Bezug zur Gemeinde"
Das "Wohnen in der eigenen Region"-Dekret soll genau hier greifen. Wer in einer solchen Zielgemeinde ein Haus oder ein Grundstück kaufen will, oder aber einen Mietvertrag über mehr als neun Jahre abschließen möchte, muss ein oder mehrere Kriterien erfüllen. Wohnt er schon seit sechs Jahren in besagter Gemeinde oder in einem Nachbarort, der auch zu den Zielgemeinden gehört: kein Problem. Will der potentielle Käufer sich aber neu in der Gemeinde ansiedeln, dann wird es haarig: Entweder er übt schon eine Tätigkeit in der Kommune aus (und das mindestens halbtags) oder er hat einen Bezug zur Gemeinde, sei es beruflicher, sozialer oder familiärer Natur.
Einen "Bezug" zur Gemeinde? Das sei Diskriminierung, tobten zwei Mandatsträger der Frankophonen-Partei FDF. Die Maßnahme habe einen klar nationalistischen Anstrich, hieß es da. Für die FDF-Leute waren ganz klar in erster Linie Frankophone im Fadenkreuz des Dekrets - allein aus sprachlichen Gründen ist es schwierig, eine Beziehung zu einer flämischen Gemeinde geltend zu machen. Man klagte gegen das Dekret, der "Verband der Eigentümer" schloss sich an. Die Sache landete schließlich vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg.
Und die obersten EU-Richter geben den Klägern Recht. Im Fokus stand vor allem das Kriterium "Ausreichender Bezug". Der potentielle Käufer eines Hauses oder eines Grundstückes werde hier einer vorhergehenden Prüfung unterzogen. Ein solches Verfahren laufe aber in Wirklichkeit darauf hinaus, dass es bestimmten Leuten verboten ist, zu kaufen oder zu mieten. Und das widerspreche EU-Recht, heißt es in dem Urteil, hier würden Grundrechte eingeschränkt. Das gelte nicht nur für Käufer oder Mieter, sondern im Übrigen auch für Verkäufer und Vermieter, die ja auch mit ihrem Besitz frei verfahren können.
Soziale Zielsetzung
Die Argumente der flämischen Regierung hat das Gericht damit verworfen. Flandern hatte geltend gemacht, dass man mit dem Kriterium "ausreichende Bindung zur Gemeinde" den nicht ganz so finanzkräftigen Einheimischen eine Chance auf Wohnraum in ihrer Heimat geben wolle. Die Absicht an sich sei nachvollziehbar und unproblematisch, sagt das Gericht, allerdings stehe davon nichts im Dekret. Und "ausreichende Bindung" treffe gegebenenfalls nicht ausschließlich auf weniger begüterte Menschen zu. Anders gesagt: Auch ein Reicher kann im flämischen Gesangsverein Mitglied sein.
Genau da will jetzt die flämische Regierung den Hebel ansetzen, um das Dekret rechtlich quasi auf die sichere Seite zu bringen. Sie wolle die soziale Zielsetzung des Dekrets jetzt deutlicher herausarbeiten, sagte die zuständige flämische Regionalministerin Freya Van den Bossche - hervorheben, dass es wirklich darum geht, Wohnraum für Menschen zu schaffen, die aus der Gemeinde stammen, die hohen Preise aber nicht zahlen können.
Der Rest ist das übliche Gezeter. Die FDF stimmte schon zum altbekannten Sieggeheul an, die N-VA schlüpft ihrerseits ebenso traditionsgemäß in die Opferrolle. Die Frankophonen verunglimpften Flandern und die Flamen bei jeder Gelegenheit, hätten das Dekret bis zur Karikatur verzerrt, heißt es da. Am Ende wird es ohnehin ein belgisches Gericht sein, das in dieser Sache ein endgültiges Urteil fällen muss. Im vorliegenden Fall ist das der Verfassungsgerichtshof.
Archivbild: BRF