Für viele Beobachter ist längst nicht mehr die Frage, ob König Albert zu Gunsten von Prinz Philippe auf den Thron verzichtet, sondern wann. König Albert der Zweite sei müde, sagte seine Frau, Königin Paola. Verstärkt wurde dieser Eindruck vor einigen Tagen, als der König auf einem öffentlichen Termin mit Gehstock erschien.
Der König hat bekanntermaßen einen schlimmen Rücken, das liegt in der Familie. Davon abgesehen: Er war schon einige Male wegen diverser gesundheitlicher Probleme im Krankenhaus. Er ist ja auch ein Mann von fast 80 Jahren. "Eben drum!", sagen denn auch viele Beobachter. Es ist ja nicht so, als stünde nicht ein Nachfolger bereit: Kronprinz Philippe ist inzwischen 53 Jahre alt. Und es habe wohl kaum einer seiner Vorgänger so viel Zeit gehabt, sich auf das Amt vorzubereiten, sagte Vincent Dujardin in der RTBF, Professor an der UCL und Königshausexperte. König Baudouin sei mit 19 in die Rolle gedrängt worden. Und König Albert sei im Grunde nie davon ausgegangen, dass er irgendwann mal den Thron besteigen würde.
Prinz Philippe ist jedenfalls längst ein gewohnter Gast auf dem diplomatischen Parkett. Er hat eine militärische, akademische und politische Ausbildung genossen. Er hat rund 80 Wirtschaftsmissionen im Ausland angeführt. Und er kennt quasi alle wichtigen Politiker. Ein beeindruckender Lebenslauf also.
Nach wie vor bleiben Zweifel, spricht so mancher dem Prinzen die nötige Kragenweite ab. Dafür gibt es wohl verschiedene Gründe, angefangen bei seinem Auftreten: Einige Zeitungen beklagen am Dienstag den doch schrillen Kontrast zwischen Holland und Belgien. Auf der einen Seite: ein modernes Königspaar, betont locker, volksnah und natürlich. Auf der anderen Seite: der zugeknöpfte, eher schüchterne, teilweise unbeholfene Prinz Philippe. Mathilde an seiner Seite kann die Defizite des Prinzen irgendwie nicht so richtig wettmachen.
Das Ganze ist messbar
Ein Forscherteam der Katholischen Universität Löwen hat die Medienberichterstattung in den beiden großen flämischen Fernsehsendern VRT und VTM analysiert. Resultat: In Belgien nimmt das Interesse am Königshaus ab. Konkret: Die Anzahl Sendeminuten, die dem Königshaus gewidmet war, hat sich halbiert. Auffallend ist vor allem, dass das Interesse an Prinz Philippe in den letzten zehn Jahren gleich geblieben ist. Im Gegensatz zu Holland: Dort ist Willem-Alexander in den letzten Jahren gezielt als neues Staatsoberhaupt aufgebaut worden.
Hinzu kommt, dass Belgien eben nicht Holland ist. In Belgien spielt der König in der Praxis doch eine manchmal gewichtige politische Rolle. Gerade die Krisen der letzten fünf Jahre haben gezeigt, wie wichtig der König mitunter sein kann. Manchmal als Schiedsrichter, manchmal im wahrsten Sinne des Wortes als Moderator, der es den Parteien erlaubt, Zeit zu gewinnen, um die Wogen zu glätten. Eine graue Eminenz, eine Autorität eben.Doch das traut man Prinz Philippe nicht zu.
Sanfter Druck der Parteien
Deswegen üben die Parteien denn auch anscheinend sanften Druck aus, um den König dazu zu bringen, doch noch weiterzumachen. Jeder hat schon die Wahl 2014 vor Augen, die "Mutter aller Wahlen": Auf allen Ebenen werden die Karten neu gemischt: Föderalstaat, Gemeinschaften und Regionen, plus Europa. Der Einsatz ist die Einheit des Landes. Deswegen wünscht sich so mancher einen König, der ausreichend moralische Autorität mitbringt, nach dem Motto: Wenn überhaupt einer die Streithähne beruhigen kann, dann wohl nur Albert der Zweite.
Das sei aber letztlich auch kein Argument, glaubt Professor Dujardin. In Belgien sind Spannungen eher die Regel als die Ausnahme. E geht um die Suche nach einem günstigen Zeitfenster. Und Beobachter glauben da wenigstens einen solchen Moment ausgemacht zu haben, nämlich: Jetzt, oder sagen wir: "jetzt gleich". Das Drehbuch sähe demzufolge so aus: Im Sommer gäbe der König bekannt, dass er abdankt. Der Thronwechsel würde dann im September-Oktober erfolgen.
Wäre eine Möglichkeit, glaubt auch Monarchie-Experte Dujardin: Das würde es dem neuen König Philippe jedenfalls ermöglichen, sich noch schnell als König zu etablieren, die wichtigen Kontakte zu knüpfen, sich freizuschwimmen, Vertrauensverhältnisse aufzubauen, bevor es dann im Sommer nächsten Jahren zum ersten Mal wirklich zur Sache geht.
Archivbild: Eric Lalmand (belga)