In Charleroi haben sich am Montagvormittag mehrere tausend Menschen an einem "Marsch für Arbeit" beteiligt. Die Polizei schätzt ihre Anzahl auf rund 10.000. Zu der Aktion hatten die drei großen Gewerkschaften gemeinsam aufgerufen. Die Teilnehmer kamen vor allem aus der Industrie, zum Beispiel aus den Krisen-Unternehmen Carsid, Alstom oder Caterpillar. Auch der öffentliche Dienst war vertreten, etwa durch Mitarbeiter der Gemeinde, des ÖSHZ und des Arbeitsamtes.
Mit der Kundgebung wollten die Arbeiter auf den Wert der Arbeit hinweisen und gleichzeitig betonen, dass sie sich nicht kampflos der schwierigen Wirtschaftslage ergeben werden. Aus Solidarität zu den Arbeitern hatten die Geschäftsleute in Charleroi ihre Läden für die Dauer des Marschs geschlossen. Der öffentliche Personennahverkehr stand still. In den Schulen und Krankenhäusern fanden Sensibilisierungsaktionen statt.
Nach dem nationalen Protesttag am Donnerstag wollten die Gewerkschaften auf die besonders schwierige Wirtschaftslage in der Region Charleroi aufmerksam machen. Die Angestelltengewerkschaften hatten den nationalen Streiktag am vergangenen Donnerstag als Erfolg gewertet. Hunderte Unternehmen aus den unterschiedlichsten Bereichen wurden bestreikt, vor allem in der Wallonie. Bei dem Streik stand das angestrebte Einheitsstatut von Arbeitern und Angestellten im Vordergrund, das die Gewerkschaften unterstützen unter der Voraussetzung, dass es keine arbeitsrechtlichen Abstriche geben wird.
Wie sozialistisch ist die PS noch?
Seit dem Fall der Berliner Mauer 1989 und dem folgenden Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft in Osteuropa haben es die klassisch linken Ideen schwer, sich einen Platz in der Politik zu schaffen. Belgien ist dabei keine Ausnahme.
Dieser Ansicht sind zumindest die Gewerkschaften. Im Fokus ihrer Kritik: die frankophonen Sozialisten der PS. Sie seien keine Sozialisten mehr, höchstens noch Sozialdemokraten. Die Gewerkschaften kritisieren das. Kurz vor dem 1. Mai, dem traditionellen Tag der linken Bewegungen, haben Gewerkschaftsvertreter in Charleroi ein Treffen mit politischen Gruppierungen links von der PS organisiert.
Es ist diese Äußerung von PS-Chef Paul Magnette im Radio von Bel RTL, die Gewerkschaftsvertreter kurz vor ihrem Treffen in Charleroi wieder auf die Palme gebracht hat: Beim Angleich der Statuten von Arbeitern und Angestellten, so Magnette, könne man natürlich nicht allen die besten Arbeitsbedingungen einräumen. Abstriche müssten hingenommen werden.
Für die Gewerkschaften sind solche Äußerungen unerträglich. Gerade hatten sie ein bisschen Hoffnung geschöpft, dass es damit vorbei sein könnte. Der Auftritt von Paul Magnette auf dem PS Parteikongress vor gut einer Woche hatte ihnen diese Hoffnung vermittelt. Magnette war dort kämpferisch aufgetreten, hatte viele linke Forderungen formuliert - und dann am Donnerstag wieder das: Wieder einmal so eine Kompromiss-Formel, von denen die Gewerkschaften mittlerweile die Nase voll haben.
Sie werfen der PS vor, nicht mehr links genug zu sein. 25 Jahre Beteiligung an der Macht hätten ihre Spuren hinterlassen. Die Sparpolitik, die der Sozialist Elio Di Rupo führe, mache auch vor harten Einschnitten bei sozialen Belangen nicht halt. Daniel Piron, Generalsekretär der sozialistischen Gewerkschaft FGTB im Hennegau, nennt es den Neo-Liberalismus, der mittlerweile auch die Reihen der PS erreicht habe. Die Äußerungen von Magnette zum Statut der Arbeiter und Angestellten seien ein Beispiel dafür. Sehr beunruhigend für die Arbeitswelt.
rtbf/jp/sh - Bild: Virginie Lefour (belga)