Sind wir wirklich naive Deppen? Diese Frage muss sich jeder gefallen lassen, der brav seine Steuern zahlt. Und wie lächerlich wirkt im Lichte des Offshore-Leaks-Skandals eine Idee, die die Regierung in dieser Woche lanciert hat: eine Volksanleihe.
Der Bürger kann demnach sein Geld in Kassenbons anlegen, der Erlös würde dann in Projekte mit sozialem Anstrich investiert. Als Gegenleistung gibt es nicht nur eine Rendite von stattlichen - im Augenblick laut Marktpreis - rund 2,2 Prozent, der Staat erlässt dem Anleger zugleich einen Teil der Quellensteuer: Man zahlt nur 15 statt 25 Prozent.
"Nur" 15 Prozent Steuern? Man hört sie sich totlachen am Strand von Antigua, auf den britischen Jungferninseln oder in Panama. Warum immer noch 15 Prozent zahlen, wenn es doch Briefkästen auf den Kaiman-Inseln gibt?
Die durchaus löbliche Idee mit der Volksanleihe bekommt angesichts des Offshore-Leaks-Skandals so einen treudoofen Anstrich. Hier zeigt sich denn auch, wie weit des einen und des anderen Realität in ein und derselben Welt auseinanderliegen können.
Hier letztlich der Matthäus-Effekt, wie die Zeitung De Standaard so treffend formulierte. Wie heißt es doch beim Jesus-Biografen in einem Gleichnis, das er seinem Heiland in den Mund legt: "Denn dem, der hat, wird gegeben und er wird im Überfluss haben, und dem, der nicht hat, wird auch das wenige, was er noch hat, genommen." Statt der Bibel kann man aber auch die "Farm der Tiere" von Orwell bemühen, wo plötzlich eine ernüchternde Feststellung auf der Scheune steht: "Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher".
Das kann auf Dauer nicht gut gehen! Es kann nicht sein, dass eine Bevölkerungsgruppe einen - zumal in Belgien - erheblichen Beitrag zum Funktionieren der Gesellschaft leistet, damit Infrastruktur, Gesundheitswesen, das Solidaritätsprinzip oder der Unterricht finanziert werden können, und dass sich eine andere Bevölkerungsgruppe, die über Mittel verfügen würde, durch die Hintertüre davonstiehlt.
Das birgt auf Dauer ein erhebliches Maß an sozialem Sprengstoff. Denn hier geht es nicht mehr um einige wenige Superreiche. Auf den Briefkästen unter Palmen stehen nicht die Namen der "üblichen Verdächtigen": kein wichtiger Politiker, kein Bel-20-Industrie-Kapitän, nicht die belgische Finanzaristokratie, keiner davon taucht anscheinend in den Offshore-Leaks-Akten auf. Die Liste umfasst vielmehr eine Menge kleinerer Fische: gut, aber nicht außergewöhnlich gut situierte Selbständige, Anonyme aus der Mitte der Gesellschaft.
Das ist die wirklich neue und erschreckende Erkenntnis aus dem belgischen Kapitel des Offshore-Leaks-Skandals. "Brüssel, wir haben ein Problem". Nicht nur, dass die belgische Industrielandschaft erodiert, es wandert zudem das heimische Kapital ins Ausland ab. Und dieses Phänomen ist schon in der gehobenen Mittelschicht angelangt. Dass etwa der Nachbar von nebenan über ein nicht ganz so weißes Konto in Luxemburg verfügte, das konnte ja schon längst niemanden mehr verwundern - aber ein fast noch durchschnittlicher belgischer Selbständiger mit einer Scheinfirma auf Aruba? Dahinter steckt schon ein gehöriges Maß an krimineller Energie.
Hier die Moral ins Feld zu führen, ist scheinheilig. Warum versteckt jemand sein Geld? Schlicht und einfach: Weil er es kann! Diejenigen, die brav zahlen, tun das in der Regel auch nicht, weil sie moralisch integrer wären. Ein Lohnempfänger hat ganz einfach keine andere Wahl.
"Weil er es kann": Hier muss man den Hebel ansetzen. Man "kann" Geld verstecken, weil es anscheinend immer noch viel zu einfach ist. Weil sich die politisch Verantwortlichen - etwa auf Ebene der G20 - immer noch nicht zu einem entschlossenen Vorgehen durchgerungen haben, um Steuerparadiese zu mehr Transparenz zu zwingen. Weil einflussreiche Akteure in einflussreichen Ländern an der Schattenwirtschaft fleißig mitverdienen, man denke nur an die Londoner City, die Risikogeschäfte oft über Steuerparadiese abwickelt. Weil solche Praktiken selbst innerhalb der EU mehr oder weniger toleriert werden. Die zyprischen Banken haben ihre schwergewichtigen, russischen Kunden bestimmt nicht nur wegen ihres leckeren Ouzo angezogen.
Weil, weil, weil: Weil jeder irgendwie immer das Steuerparadies eines anderen ist. Belgien mit seinen Fiktivzinsen sitzt da auch im Glashaus: Was der kleine Belgier nicht glauben mag, aber auch Belgien gilt gewissermaßen als Steuerparadies, in dem Sinne, dass große Unternehmen über die Fiktivzinsen ihr Geld in Belgien zu einem Spottpreis versteuern können. Bestes Beispiel war ja ArcelorMittal, das für einen Milliardengewinn unterm Strich knapp 500 Euro Steuern gezahlt hat - da lohnt sich fast schon nicht mehr der Umweg über die Bahamas. Wer verdächtige Briefkästen sehen will, der muss nicht auf die Antillen reisen, der findet die auch schon in der Brüsseler Avenue Louise.
Vielleicht, man kann ja mal träumen, kann der Offshore-Leaks-Skandal da aber doch eine Wende herbeiführen. Wenn auch das eigentliche Phänomen bekannt ist: "Reiche parken ihr Geld in Offshore-Firmen", das ist ja mal ganz was Neues! Die Dimensionen dürften aber selbst den abgebrühtesten Zyniker umgehauen haben: 25 Billionen Euro, die quasi im Sand unter Palmen verbuddelt sind - allein 1.000 Milliarden Euro, die pro Jahr in der EU dem Fiskus durch die Lappen gehen.
Angesichts der derzeitigen Krise kann das - bei allen Eigeninteressen - kein Staat mehr in irgendeiner Weise ignorieren. In ganz Europa laufen sich die Populisten warm. Der Matthäus-Effekt, also das Motto: "Wer mehr hat, er bekommt noch mehr", kann den Staaten auf Dauer um die Ohren fliegen. Pikantes Detail: Nach der Überlieferung war der Apostel Matthäus von Beruf ursprünglich ... Steuereintreiber.
Und das Ganze dann weil gerade mal 2 (ausgeschrieben ZWEI) von Hunderten Off-Shore Firmen aufgeflogen sind, wieviel und wer verbirgt sich hinter den Anderen???
Aber das ist gegen den Ultraliberalen Stil; der Markt ist jetzt weltweit...