Leiden auch Sie unter Stress? Bei einer Umfrage von RTBF und Le Soir in Zusammenarbeit mit der Krankenkasse Solidaris durften knapp 1.000 arbeitende Menschen aus der Wallonie und der Region Brüssel auf diese Frage antworten. Die Befragten waren Angestellte, aber auch Selbständige.
Ergebnis: Nur 18 Prozent gaben an, bei der Arbeit fast nie gestresst zu sein. Die Hälfte empfindet regelmäßig etwas Stress, aber nicht zu viel. Und ein Drittel gab sogar an, ständig unter viel oder sehr viel Stress zu stehen.
Dieser Befund gibt Anlass zur Sorge. Denn anders, als oft vermutet, handelt es sich beim Stress um eine Krankheit, die ernst zu nehmen ist. "Stress wird heute als eigenständiger Risikofaktor anerkannt, der zwar nicht zu vergleichen ist mit Rauchen oder Alkoholkonsum, aber in die gleiche Größenordnung fällt wie zum Beispiel Bluthochdruck", bestätigt Dr. William Pitchot, Psychiater an der Uniklinik Lüttich.
Stress tritt immer als Reaktion auf irgendeinen äußeren Einfluss auf, auf eine Herausforderung, die sich die Person stellen muss. Der Körper produziert dann das Hormon Cortisol, und das hat eine negative Auswirkung auf den Organismus. Selbst kurze Stress-Phasen tun dem Körper eigentlich nicht gut. Einen gesunden Stress, wie es im Volksmund so schön heißt, gibt es medizinisch nicht. Doch problematisch sind kurze Stressphasen nicht. "Stress wird dann zum Problem, wenn er regelmäßig auftritt. Klassische Anzeichen seien neben dem gefühlten Stress das Gefühl, ständig müde zu sein, erschöpft oder kraftlos. Im Extremfall kommt es dann zum Burnout oder sogar Depressionen."
Was Doktor Pitchot als Phänomen beschreibt, hat Philippe Delise am eigenen Leib erfahren. Der 49-Jährige war Manager in einer international aufgestellten Firma. Die Stressfaktoren haben sich bei ihm durch die Krise eingefunden. "Als die Krise kam, stieg der Druck des Managements, der Aktionäre", erinnert sich Delise. "Plötzlich mussten meine Ergebnisse innerhalb eines Jahres um 47 Prozent steigen. Das hatte Folgen: nämlich Stress."
Und den nahm Delise auch mit nach Hause. Wenn dort seine Tochter Geige übte, regte sich der Vater darüber auf. Anstatt ihn zu entspannen, machte ihn die Geige rappelig. Schließlich drängte ihn seine Frau, einen Arzt aufzusuchen. Dieser stellte zum Glück die richtige Prognose, verordnete einen Monat Pause. Denn sonst hätte die Gefahr eines Herzinfarkts bestanden. Doch für den Manager war es zu spät, der Burnout war nicht mehr aufzuhalten. Statt einem Monat musste er für eineinhalb Jahre die Arbeit ruhen lassen, wurde entlassen und arbeitet heute als Selbständiger.
Ob sich Geschichten wie diese in Zukunft vermeiden lassen? Experten glauben nicht unbedingt daran. Denn dafür müsste es ein Umdenken in der Gesellschaft geben. Arbeit dürfte nicht nur als Leistungsfaktor gesehen werden. Unternehmen müssten den Menschen als Ganzes betrachten und die Arbeitsabläufe daran anpassen. Doch davon sei man in Zeiten, wo nur Erfolge und Gewinne zählen, ziemlich weit entfernt.
kw