Das darf doch wohl nicht wahr sein! Da verhandeln die wichtigsten Minister der Koalition vier Wochen lang, streiten sich, beschuldigen sich gegenseitig, beschimpfen sich, blockieren die Beratungen tagelang. Und am Ende wird wohl kein nützlicher Kompromiss zu Stande kommen, sondern nur der kleinste gemeinsame Nenner.
Nicht eine Milliarde Euro wird in die strauchelnde Wirtschaft gepumpt, sondern möglicherweise nur 400 Millionen - in Krisenzeiten wie diesen einfach zu wenig. Statt der Mini-Maßnahmen braucht unser Land mutige und weitreichende Entscheidungen. Weitermachen wie bisher ist keine Option.
Stattdessen verzetteln sich die Regierungsparteien in ideologischen Grabenkämpfen, werfen dem Koalitionspartner vor, von seinen Tabus nicht abzurücken. Dabei gießt in Wirklichkeit niemand Wasser in seinen Wein. Weder Sozialisten, noch Liberale, noch Christdemokraten. Die PS hält blind am Index fest, die OpenVLD am Mehrwertsteuersatz von 21 Prozent. So, liebe Freunde, kann man nicht verhandeln.
Natürlich ist die Aufgabe keine leichte: Tiefgreifende Reformen ergreifen in einer derart großen Koalition, das grenzt an Surrealismus. Aber die belgische Regierungskonstellation lässt derzeit keine andere Möglichkeit zu.
Vor den Beratungen hatten sich die Partner zwei Ziele gesteckt: Den Haushalt in der Spur halten und der Wirtschaft unter die Arme greifen. Wie es derzeit aussieht, wird wohl nur das erste Ziel erreicht werden. Wirklich bedauerlich, denn mit ein bisschen Mut wäre sehr viel mehr drin. Mit einem einmaligen, sozialverträglichen Indexsprung, der die Geringverdiener verschont, würde man nicht nur der Staatskasse gut tun, sondern auch die Unternehmen entlasten. Mit einer Mehrwertsteuererhöhung könnte man zudem die hohen Lohnnebenkosten ein Stück weit senken. Das macht unsere Arbeit günstiger und die belgische Wirtschaft attraktiver.
Beide Maßnahmen durchsetzen: Der Kompromiss hätte so schön sein können. Doch die Parteien haben Angst davor, den Menschen die Wahrheit zu sagen. Sie fürchten sich vor dem Protest an der Basis. Die Mega-Wahl 2014 lässt bereits grüßen.
Das Ergebnis: Statt uns zu gesunden, fahren wir mit 200 Sachen gegen die Wand. Und das Schlimmste ist: Die Nachbarländer gehen den schmerzhaften Weg. Der Vergleich mit den Niederlanden ist zwar schwierig, aber die neue Regierung hat wichtige Strukturreformen auf den Weg gebracht, in Frankreich kommt die Reichensteuer, Deutschland hat seinen Arbeitsmarkt bereits verändert. Nur wir greifen mal wieder zu halbherzigen Mitteln und schieben die Probleme vor uns hin. Dabei hatte vor einem Jahr alles so gut angefangen. Die Regierung Di Rupo hat bei ihrem Antritt drastisch gespart und wichtige Reformen durchgeführt. Doch dann kamen die Kommunalwahlen ... und seitdem geht nichts mehr.
An dieser Stelle könnte man sich noch über den europäischen Sparkurs aufregen und sich fragen, ob wir nicht gerade dabei sind, uns kaputt zu sparen. Ob man die Haushaltskonsolidierung nicht um ein paar Jahre nach hinten verschieben kann. Natürlich ist diese Frage berechtigt. Aber die Lösung müssen wir gemeinsam in Europa finden. Den Kopf in den Sand stecken und alleine Widerstand leisten, macht überhaupt keinen Sinn. Im Gegenteil: Während die anderen weiterkommen, würden wir einen Schritt zurück machen.
Noch ist die Einigung nicht da. Noch können die sechs Regierungsparteien mutige Entscheidungen treffen und verhindern, dass nur der kleinste gemeinsame Nenner verabschiedet wird.