Das Armutsrisiko nimmt in Zeiten der anhaltenden Wirtschaftskrise immer weiter zu - wenn reihenweise Firmen Pleite machen oder Standorte aufgeben und ins Ausland weiterziehen, wenn Arbeitsplätze vernichtet und noch dazu die Arbeitslosenunterstützung beschnitten wird - wie es jetzt auch in Belgien geschieht.
Der Ruf nach Reformen wird immer lauter. Ist ein Wirtschaftsmodell, das vom stetigen Wachstum ausgeht, überhaupt noch zukunftstragend? Eine Studie des ehemaligen Sozialministers Frank Vandenbroucke liefert jetzt offenbar den Beweis, dass es nicht ewig so weitergehen kann wie bisher. Denn: Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte ist das Armutsrisiko der Jungen größer als das der Alten.
"Die Kinder sollen es doch einmal besser haben als wir" - der Spruch war Programm seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, während der Aufbaujahre, dem Wirtschaftswunder und noch Jahrzehnte danach. Und wirklich: Bei der Entwicklung des Wohlstandes gab es eigentlich nur eine Richtung, nämlich aufwärts.
Genau dieser Prozess stetigen Wachstums ist mittlerweile Geschichte, und nicht nur in Belgien, sondern europaweit. Das ist zumindest das Ergebnis der Studie, die der ehemalige Sozialpolitiker und Minister Frank Vandenbroucke mit Hilfe des renommierten Zentrums für Sozialpolitik Herman Deleeck an der Universität Antwerpen organisiert hat. Das Armutsrisiko ist zum ersten Mal für die junge Generation größer als für die Rentnergeneration. In Zahlen ausgedrückt heißt das: Während das Armutsrisiko für Rentner in den letzten Jahren um ein Fünftel auf 23 Prozent sank, ist es für die Menschen am anderen Ende der Altersskala größer geworden. Für die heute unter 18-Jährigen liegt dieses Risiko bei knapp 19 Prozent, gegenüber 15 Prozent noch vor einigen Jahren.
Die Babyboomer
Für diese Verschiebung des Armutsrisikos macht Vandenbroucke verschiedene Gründe aus. Zum einen haben wir es bei der heutigen Rentnergeneration vermehrt mit den sogenannten Babyboomer zu tun - also Menschen, die in den Jahren zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Pillenknick in den 60er Jahren geboren wurden. Sie gehören zu den Glücklichen, die von Krieg und Rezession verschont blieben und von daher gut für ihr Alter vorsorgen konnten. Hinzu kommt, dass in dieser Generation erstmals auch die Ehefrauen ein berufliches Einkommen hatten und daher eine eigene Rente beziehen.
Auch ist der Arbeitsmarkt in Belgien von starken Diskrepanzen gekennzeichnet: Es gibt auffallend viele Familien, in denen beide Partner arbeiten - und dadurch bedingt auf der anderen Seite umso mehr, in denen beide ohne Arbeit sind. Und die sitzen wiederum besonders häufig in der Armutsfalle. Das mag auf den ersten Blick nicht weiter verwundern, doch auffallend ist daran, dass Belgien im europäischen Vergleich dabei besonders schlecht abschneidet - und das, obschon der belgische Staat viel Geld für die Arbeitslosenunterstützung ausgibt. 2006 machte das Arbeitslosengeld zwölf Prozent der Sozialleistungen in Belgien aus. Im europäischen Durchschnitt ist dieser Anteil nur halb so hoch. Durch die Entwicklung am Arbeitsmarkt und durch die Überalterung der Gesellschaft schrumpft der Anteil derjenigen, die die Lasten der sozialen Sicherheit tragen müssen, während der Anteil derjenigen, die auf Unterstützung angewiesen sind, zunimmt.
Alles in allem: keine schönen Aussichten. So warnt Vandenbroucke, der zu den Architekten des sogenannten "aktiven Wohlfahrtsstaates" gehörte und genau diesen jetzt kritisch unter die Lupe nimmt, dass, wenn dieser Trend nicht gestoppt wird, ein echter Generationenclash droht. Den zu verhindern nennt er dann auch die nächste soziale Frage, die dringend gelöst werden muss.
Die Ergebnisse der Studie findet man auch im Netz unter www.centrumvoorsociaalbeleid.be
De Morgen/b/Centrum voor Social Beleid Herman Deleeck/SH - Bild: belga