"Krise": Das Wort ist in aller Munde. Eine Hiobsbotschaft jagt die nächste, jeden Tag werden Stellenstreichungen bekannt. Das sind also nicht unbedingt ideale Voraussetzungen für die Regierung Di Rupo, die einen Haushalt für das kommende Jahr schnüren soll.
Hier geht es längst nicht mehr "nur" ums Geld, sondern - eben im Fahrwasser von Ford Genk - auch um Themen wie zum Beispiel Frühpension ab 50. Die schloss der neue Pensionsminister Alexander De Croo aber kategorisch aus. Herwig Jorissen, der Chef der flämischen FGTB-Metaller, bezeichnete De Croo als "herzlosen Gartenzwerg".
Fakt ist: Ford Genk ist nur die Spitze des Eisbergs. Und die Regierung kann nicht so tun, als wäre nichts gewesen. "Wir reden hier längst nicht mehr ausschließlich über den Haushalt", machen vor allem die Liberalen Druck. Wir brauchen zugleich entschlossene Maßnahmen, sagte MR-Chef Charles Michel: "Die Unternehmen müssen konkurrenzfähiger werden und wir brauchen Maßnahmen, um eine Dynamik anzustoßen, um Arbeitsplätze zu schaffen".
Patrick Dewael, Fraktionsvorsitzender der Open-VLD in der Kammer, hakt ein: "Die Lohnkosten in Belgien sind entgleist, liegen knapp fünf Prozent höher als in den Nachbarländern. Belgien muss dringend für Investoren wieder attraktiver werden." Moment mal, entgegnet Karin Temmerman, Fraktionsvorsitzende der sozialistischen SP.A: Die Ford-Direktion habe ihre Entscheidung, Genk zu schließen, nie mit den hohen Lohnkosten in Belgien begründet. Und zumindest in der Autoindustrie seien die Lohnkosten sogar günstiger als etwa in Deutschland.
Nichts desto trotz: Das Thema Lohnkosten liegt auf dem Tisch der Regierung. Und damit wohl auch der Index. Für die linken Parteien und auch die Gewerkschaften ist eine Diskussion über die automatische Kopplung der Löhne und Gehälter an die Lebenshaltungskosten nach wie vor tabu. Aber der CD&V-Fraktionsvorsitzende Raf Terwingen dachte laut nach: "Ein einziger Index-Sprung würde dem Staat 2,5 Milliarden einbringen. Auf der anderen Seite haben Studien ergeben, dass ein Index-Sprung zusätzliche Arbeitsplätze kosten könnte".
Für die frankophone PS kommt ein Index-Sprung derweil unter keinen Umständen infrage. Zugleich weiß man aber, dass man derzeit auf der Suche nach der Quadratur des Kreises ist: auf der einen Seite muss gespart werden, auf der anderen Seite erwartet jeder - auch die liberalen Koalitionspartner - Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft. Und die kosten auch Geld.
Ein Dilemma, dem man nur entrinnen kann, indem man versucht, auszubrechen. Das hat sich wohl PS-Vizepremierministerin Laurette Onkelinx gedacht, als sie dafür plädierte, vom EU-Haushaltsfahrplan abzuweichen. Wer zu gnadenlos spare, der laufe Gefahr, die Wirtschaft zusätzlich abzuwürgen und die Krise zu verschärfen - der produziere "neue Ford Genks".
Belgien hat sich dazu verpflichtet, sein Defizit im kommenden Jahr auf 2,15 Prozent zu drücken. Das bedeutet: Man muss zwischen 3,4 und 3,7 Milliarden Euro finden. Onkelinx würde einen Teil davon lieber in die Belebung der Wirtschaft stecken. Das aber sei eine Milchmädchenrechnung, warnen die Liberalen und auch die Christdemokraten. Wenn Belgien den EU-Kurs verlasse, dann schüre das Misstrauen an den Finanzmärkten, die belgische Staatsschuld würde damit wieder unter Druck geraten, die Zinsen steigen. Breite Ablehnung also bei den Koalitionspartnern.
Und in der Opposition sieht sich einer bestätigt. Die PS blockiere die brotnötigen Strukturreformen, sagte Bart De Wever in der VRT. Ohne die PS hätte das Land längst seinen Arbeitsmarkt und sein Steuerrecht neu ausgerichtet. Jetzt bekommen wir die Quittung: Ford Genk. Flandern sei eindeutig dabei, sich zu "wallonisieren".
Mit solchen Aussagen erhöht sich noch der Druck auf die flämischen Mitte-Rechts-Parteien. In den letzten Tagen ist jedenfalls der Graben zwischen rechts und links nur noch tiefer geworden. Eine Aussage von Laurette Onkelinx würde wohl indes jeder unterschreiben: "Gehen Sie davon aus", so sagte Onkelinx den wartenden Journalisten, "dass das Ganze hier noch ein paar Tage dauert ..."
Archivbild: Georges Gobet (afp)