Unerträglich ist die Stimmung inzwischen geworden. Die flämische Politlandschaft steht unter Hochspannung. Inzwischen werden die Kommunalwahlen schon wie die "Schlacht der Apokalypse"' dargestellt.
Und nach einem extrem polarisierenden Wahlkampf läutet Bart De Wever noch am Wahltag den nächsten Wahlkampf ein, den mit Blick auf die Wahl 2014, die "Mutter aller Wahlen", bei der quasi alle Parlamente des Landes neu bestimmt werden.
Geht es nach De Wever, dann flirtet das Land auch in den nächsten zwei Jahren durchgehend mit der Massenhysterie. Auf Dauer ist das schlicht und einfach nicht auszuhalten.
Bart De Wever scheint inzwischen in Flandern über die ultimative Deutungshoheit zu verfügen. Man möchte fast sagen, dass De Wever sogar behaupten darf, dass es regnet, wenn doch eigentlich der Himmel strahlend blau ist.
"Wir sind die neue Volkspartei in Flandern." "Wir sind jetzt die Träger von Volkes Meinung in Flandern". Oder, noch besser: "Das Ergebnis der Kommunal- und Provinzialwahlen ist eine "rote Karte" für die Regierung Di Rupo. Die Botschaft lautet: Die Menschen in Flandern haben die Nase voll von der föderalen 'Besteuerungsregierung'." Und deshalb sollen die Frankophonen sich jetzt auf die "konföderale Reform" vorbereiten ...
Nanana! Das sind doch zumindest "verwegene" Interpretationen des Wahlausgangs. Ohne den Sieg der N-VA schmälern zu wollen. Sie hat es zweifelsohne geschafft, sich lokal zu verankern - und das ist die Lebensversicherung, das Fundament für eine nachhaltige Zukunft in der flämischen Parteienlandschaft.
Aber: Es ist immer noch so, dass im Durchschnitt zwei Drittel der Wähler De Wever und seine N-VA nicht gewählt haben. Die Partei hat auch nicht überall erdrutschartige Siege eingefahren. Die N-VA hat einen durchaus bemerkenswerten Sieg eingefahren, ja. Ehre, wem Ehre gebührt. Aber nicht mehr!
Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Unterschätzen darf man die Ereignisse vom schwarz-gelben Sonntag nämlich auch nicht.
Wenn die Mehrheitsparteien in Flandern und auch im frankophonen Landesteil darauf verweisen, dass es sich nur und ausschließlich um eine lokale Wahl gehandelt hat, dann ist das zwar nicht falsch. Klar ging es um die Neubesetzung der Gemeinderäte, um lokale Themen, Persönlichkeiten, Konstellationen. Doch hat Bart De Wever es geschafft, lokale Wahlen zu einem "nationalen Test" zu stilisieren. Natürlich war das einseitig, natürlich muss man auf das Spiel nicht einsteigen. Doch wer bis zum Exzess der Kommunalwahl jegliche nationale Bedeutung absprechen will, der macht sich lächerlich!
Hier geht es weniger um die reinen Zahlen. Überraschend kommt das flächendeckend gute Ergebnis der N-VA bestimmt nicht, sie bestätigt schließlich nur das Wahlergebnis von 2010. Der Sieg von De Wever kommt nicht aus heiterem Himmel, er ist allenfalls gemessen an den Ergebnissen von 2006 wirklich beeindruckend, im Vergleich zu 2010 ist es "nur" eine Bestätigung. Insofern muss man sich wirklich fragen, wo De Wever plötzlich eine vermeintlich neue Botschaft an Di Rupo und Co. erkennen will.
Nein, es ist vielmehr das Klima, der heiße Wind, der da aus Antwerpen weht. De Wever hat es geschafft, die Schlacht um Antwerpen so zu inszenieren, dass jeder - ob man sein Spiel nun mitspielen will, oder nicht - seit dem Wahlsonntag davon überzeugt ist, dass es ab jetzt um die Zukunft des Landes geht. Sein Siegeszug durch die Straßen von Antwerpen, das Hochsteigen der Treppen im Rathaus, der Jubel vom Balkon ... De Wever hat quasi den Reiter der Apokalypse gegeben, indem er die ganze Welt glauben gemacht hat, das mit Antwerpen die letzte Bastion gefallen ist, dass Belgien ihm jetzt quasi schutzlos ausgeliefert ist.
Die flämischen Parteien können diesem De Weverschen Klammergriff im Augenblick kaum entkommen. De Wever ist quasi unantastbar. Kritik, und sei sie noch so nachvollziehbar, perlt von ihm ab, scheint ihm nicht zu schaden. SP.A-Chef Bruno Tobback etwa warf De Wever zu Recht vor, im Grunde kein Projekt für Antwerpen zu haben, sondern die Wahl nur für seine Zwecke zu missbrauchen. Schulterzucken, Themenwechsel.
Ein paar Stunden später führt De Wever dann wieder seine Märtyrernummer auf, wenn er beklagt, dass er in vielen Gemeinden von den traditionellen Parteien in die Opposition befördert wird. Wieder die Mär vom Komplott der traditionellen Parteien gegen die arme N-VA.
De Wever wird jetzt versuchen, den Druck permanent aufrecht zu erhalten. Die Schlacht um Antwerpen, das war der Startschuss, das Adrenalin. Antwerpen soll jetzt augenscheinlich zur Trutzburg werden, von der aus General De Wever die Entscheidungsschlacht 2014 führen will. Der heiße Atem von De Wever wird die anderen Parteien ab jetzt auf Schritt und Tritt begleiten. Mal sehen, wie lange die flämischen Mehrheitsparteien es schaffen, da einen kühlen Kopf zu bewahren.
Elio Di Rupo kann jedenfalls noch so oft beschwören, es habe sich doch "nur" um eine Kommunalwahl gehalten, er weiß wohl selbst am besten, dass er ab jetzt alle liebe Not haben wird, seine Regierung geschlossen auf Kurs zu halten. Seine flämischen Partner müssten jedenfalls schon kaltschnäuziger sein, als man es ihnen zutraut, um die Drohkulisse De Wevers auszublenden.
Es ist nicht die Tatsache, dass sich die Kräfteverhältnisse in Flandern ändern, dass sich vielleicht sogar der politische Schwerpunkt verlagert. Das ist Demokratie, das gehört dazu. Prinzipiell ist es gut, wenn mal einer die Szene aufmischt, wenn sich traditionelle Parteien mal infrage stellen müssen. Wenn man De Wever etwas zugutehalten muss, dann ist es die Tatsache, dass er den traditionellen flämischen Nationalismus aus der extrem-rechten Ecke herausgeholt und wieder ins demokratische Spektrum zurückgebracht hat. Nicht jeder Nationalist ist automatisch Rassist oder Faschist. Der spektakuläre Niedergang des Vlaams Belang ist mit Sicherheit eins der wichtigsten Verdienste von De Wever und seiner N-VA.
Nur treibt De Wever die Polarisierung zu weit. Es gibt nur noch "uns" und "die anderen", politische Botschaften werden auf Schlagworte reduziert, ein permanenter Kriegszustand wird heraufbeschworen. In einem solchen Klima ist Streitkultur im positiven, demokratischen Sinne des Wortes bald unmöglich.
Vielleicht will hier einer aber auch nur vom Thema ablenken: Bart De Wever muss jetzt erstmal liefern. Bislang hat er nur in der Ehrenloge gesessen, und sich - gleich einem römischer Kaiser - darauf beschränken können, den Daumen zu heben oder zu senken. Die Schlacht um Antwerpen ist vorbei, jetzt beginnt der Alltag in der größten flämischen Stadt. Und hier kann man nicht alle Nase lang die Frankophonen für alles Übel dieser Welt verantwortlich machen. Zwei Jahre können lang sein. Auch für den künftigen Bürgermeister Bart De Wever, der zum ersten Mal zeigen muss, was er wirklich kann.
Bild: Kristof Van Accom (belga)