Bereits vor einigen Wochen hatten die Metall-Gewerkschaften einen Alternativplan vorgelegt: ein kleines, integriertes Hüttenwerk in Lüttich. Die beiden Hochöfen würde man ArcelorMittal abkaufen - der Stahlriese will sie ja so oder so schließen. Damit könnte man weiterhin hochwertigen Stahl in der Region produzieren.
Der Haken: Das Ganze kostet mindestens eine Milliarde Euro. Und die Wallonische Region sollte Hauptaktionär werden - und die Kosten tragen, zumindest am Anfang. Immerhin ließen sich so 500 der 800 bedrohten Arbeitsplätze retten.
Das Problem wäre damit aber nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Bislang ist nämlich unklar, wie die Überlebenschancen eines solchen Unternehmens tatsächlich aussehen. Stahl aus dem Hochofen von Lüttich gilt als zu teuer. Die rentablen europäischen Öfen liegen an der See: Die Rohstoffe werden mit dem Schiff angeliefert und anschließend zur Weiterverarbeitung wieder abtransportiert. Wer sollte den hochwertigen Lütticher Stahl kaufen, der aufgrund seiner Fertigungskosten viel teurer ist als der aus Dünkirchen oder Bremerhaven? Wenn dann auch der staatliche Betrieb in ein paar Jahren vor dem Aus steht, müsste die Region ein zweites Mal zahlen.
Doch kommen wir zurück zur Realität: Die Frage stellt sich gar nicht. Denn die Wallonische Region hat die eine Milliarde Euro ganz einfach nicht in der Portokasse. Ziemlich daneben ist es, die Gewerkschaften weiter zappeln zu lassen. Zwar hat der wallonische Wirtschaftsminister Jean-Claude Marcourt die Übernahme-Gerüchte kürzlich dementiert, eine klare Antwort ist er den Arbeitnehmervertretern aber dennoch schuldig geblieben.
Dabei wäre es so einfach: Ein Hochofen in Lüttich hat keine Zukunft mehr. Aus. Ende. Vorbei mit der Warmstahlproduktion. Das ist nichts Neues: Der Niedergang der europäischen Stahlindustrie ist eine Tragödie, die vor 30 Jahren begonnen hat. Aussprechen tut das aber keiner. Kein Wunder: Wer will sich schon unbeliebt machen - so kurz vor den Wahlen?
Die Regierung in Namur sollte stattdessen Lakshmi Mittal und seinem indischen Stahlimperium ganz genau auf die Finger schauen. Wenn der Weltkonzern 800 Menschen in Lüttich vor die Tür setzt, dann soll er unsere Sozialgesetzgebung auch einhalten und nicht zwischen Tür und Angel und in einer kurzen Mitteilung mit dem Aus für das gesamte Stahlbecken drohen. Außerdem soll Herr Mittal - wenn die Hochöfen definitiv schließen - bitteschön die Rechnung für die Sanierung der Anlagen präsentiert bekommen.
Und ArcelorMittal soll endlich klar machen, was genau der Konzern mit Lüttich vorhat. Welche Zukunft hat die Kaltlinie, wenn die geplanten Investitionen in Höhe von 138 Millionen Euro fließen? Sind die Mittel ernst gemeint oder nur ein Köder, um die 2.000 Arbeitnehmer und ihre Familien für ein paar weitere Monate oder Jahre ruhig zu stellen?
Auch die Gewerkschaften sollten jetzt konstruktiv mitarbeiten und ihre Blockadehaltung der letzten Monate aufgeben - das heißt nicht, dass die Delegierten alles schlucken müssen, aber Totalverweigerung und Schockstarre sind nicht besonders hilfreich. Immerhin steht das gesamte Lütticher Stahlbecken auf dem Spiel.
Grundsätzlich stellt sich hier die Frage nach der Zukunft der Industrie in Belgien und Europa, nach den Kosten, nach dem Sinn oder Unsinn der Abwanderung der Produktion in Billiglohnländer. Doch das Problem wird die Wallonische Region durch die Finanzierung eines eigenen Hüttenwerks in Lüttich nicht lösen.