Im Grunde war diese Ijzerwallfahrt ein flämisches Hochamt, bei dem die Forderungen nach flämischer Autonomie immer noch etwas lauter formuliert wurden.
In diesem Jahr aber stehen die Zeichen ganz klar auf Versöhnung: Zum ersten Mal überhaupt wird auch eine Delegation aus der Wallonie einen Kranz niederlegen. Dahinter verbirgt sich aber eine tragische Geschichte, und die spielt im Frühjahr 1917.
Im Mittelpunkt stehen die Gebrüder Van Raemdonck, Edward und Frans. Beide kämpften auf den flämischen Schlachtfeldern im Ersten Weltkrieg. Am 25. März werden sie auf eine Mission geschickt. Was dann passiert, das stand später in der Todesanzeige. Demnach hatte Edward den Auftrag erfolgreich beendet, kommt zum vereinbarten Treffpunkt, aber sein Bruder Frans ist nicht da. Sofort kehrt er um, und macht sich auf die Suche nach seinem Bruder.
Er hat ihn auch gefunden. Beide kamen dann aber ums Leben. Und da beginnt die Legende: Man hat seinerzeit drei Leichen gefunden, die der beiden Brüder Van Raemdonck und dann noch den toten Soldaten Amé Fiévez. Nach der flämischen Fassung lagen sich beide toten Brüder in den Armen. Das war denn auch das ultimative Symbol für Brüderlichkeit. Nach neueren Forschungen glaubt man aber, das Frans Van Raemdonck in den Armen des frankophonen Amé Fiévez gefunden wurde. Fakt ist: Alle drei liegen im selben Grab. Bei der Ijzerwallfahrt wurde aber eigentlich nur der beiden Gebrüder Van Raemdonck gedacht, die Geschichte des Amé Fiévez wurde ausgeblendet...
Symbolwert für die flämische Bewegung
Erstmal geht es um Brüderlichkeit: zwei Brüder, die Arm in Arm liegend tot geborgen werden, das bewegt natürlich die Menschen. Obendrauf kam aber für die flämischen Nationalisten der ganze Kontext: Man legte es so aus: zwei flämische Brüder sterben für Belgien, ein Land, das sie als Flamen nicht ernst nimmt. In Flandern ist man ja seit fast 100 Jahren davon überzeugt, dass die Flamen im Ersten Weltkrieg im wahrsten Sinne des Wortes als Kanonenfutter missbraucht worden sind von überwiegend frankophonen Offizieren. Inzwischen sagen selbst flämische Forscher, dass das nicht stimmt, dass die Opferstatistiken diese Legende widerlegen.
Aber dennoch: Für die flämische Bewegung war der Erste Weltkrieg die Stunde null. Eben, weil viele Veteranen auch das Gefühl hatten, von einer frankophon beherrschten Armee - quasi - missbraucht worden zu sein.
Da passt dann auch wieder die Geschichte der Gebrüder Van Raemdonck. Irgendwann, als die Brüder verschwunden waren, wurde ein belgischer General von seinen Leuten darum gebeten, um eine Waffenruhe zu bitten. Damit die toten Brüder bergen und bestatten konnte. Der General lehnte ab, angeblich mit den Worten: Er sehe das nicht ein. Übrigens sei es ja auch so, dass einer der beiden Brüder ein flämischer Nationalist sei". Die Leichen der drei Soldaten wurden schließlich fast drei Wochen nach ihrem Tod geborgen.
Überreste im Yserturm
Die sterblichen Überreste sind einige Male verlegt worden. Jetzt befindet sich das Grab im Yserturm, dem großen Mahnmal in Dixmuide. Dorthin pilgern ja auch die Teilnehmer der Ijzerbedevaart. Und dabei wird also in erster Linie der beiden Gebrüder Van Raemdonck gedacht, die stellvertretend stehen sollen für die Toten. Den Frankophonen im Grab hat man aber eigentlich immer mehr oder weniger ausgeblendet.
Diesmal soll bei der Ijzerwallfahrt auch ausdrücklich des toten wallonischen Soldaten gedacht werden. Man hat sogar den wallonischen Parlamentspräsidenten dazu eingeladen. Der kommt aber nicht, sondern lässt sich vom Bürgermeister von Antoing vertreten. Amé Fiévez, der tote wallonische Soldat, stammte aus Antoing. Der Bürgermeister, Bernard Bauwens, wird dabei also einen Kranz niederlegen, im Namen des Wallonischen Parlaments. Und er wird sogar das Wort ergreifen. Ich will's nicht beschwören, aber ich denke, sooft hat man bei der Ijzerbedevaart auch noch nicht Französisch gehört. Sein Kollege aus dem flämischen Temse wird auch eine Rede halten, aus Temse stammten die Gebrüder Van Raemdonck.
Versöhnung bei der Ijzerwallfahrt, ein starkes Symbol
Es wird sogar der Neffe von Amé Fiévez, also dem gefallenen Soldaten, erwartet. Pierre Fiévez ist inzwischen 73 Jahre alt. In der Zeitung La Dernière Heure freut er sich, dass sein Onkel jetzt doch noch zu Ehren kommt. Allerdings, so sagt er: Schade, dass mein Vater das nicht mehr erleben konnte, er war schließlich der Bruder von Amé Fiévez.
Bei der Ijzerbedevaart ist schon seit einigen Jahren eher der Pazifismus im Vordergrund gerückt, nach dem Motto "Nie wieder Krieg". Vor zehn Jahren hat sich die Bewegung gespalten: Neben der Ijzerbedevaart gibt es seither auch die Ijzerwake, die Ijzer-Wache . Das ist jetzt der Treffpunkt der strammen Rechtsradikalen um den Vlaams Belang. Die Ijzerbedevaart hat sich damit quasi selbst gesäubert . In den 1970er und 1980er Jahren hatte man nämlich Rechtsradikale aus ganz Europa angezogen. In den 1990er Jahren kam es sogar während der Veranstaltung zu Zusammenstößen zwischen Neonazis und der Polizei. Seit die Hardliner also ihre eigene Gedenkfeier haben, das war 2003-2004, seither versucht sich die Ijzerbedevaart mehr und mehr zu öffnen.
Es ist die letzte Ijzerbedevaart nach altem Muster. Im kommenden Jahr soll die Wallfahrt am 11. November stattfinden, dem Gedenktag des Waffenstillstands 1918.
Fast 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg wird bei der Ijzer-Wallfahrt ausdrücklich einem wallonischen Soldaten die Ehre erwiesen, steht die Versöhnung im Mittelpunkt.
Vielen Dank, Roger Pint, für diese Informationen...
Archivbild: belga