In Ans bezeugen Bürger dem toten Michel Daerden die letzte Ehre, in seinem Privathaus wohlgemerkt, nicht im Rathaus.
Aus dem Urlaub geben Spitzenpolitiker mehr oder wenig ehrlich gemeinte Bezeugungen ab, die Presse befragt Sprachpsychologen, verbreitet sich über immer neue Aspekte der Daerden-Mania.
Der treffendste Satz kam von Rik Van Cauwelaert, dem Urgestein des Magazins "Knack": Mit der ihm eigenen Kühle beschreibt er Daerden als einen "Unternehmer, der seine Partei, die mächtige wallonische PS, als eine Verlängerung seiner Firma ansah."
Damit zielte er auf die Tatsache ab, dass auch zahlreiche PS-dominierte Einrichtungen wie kommunale Zweckverbände Kunden des Betriebsprüfungskontors waren, zum großen Teil sind, dass er zwar nicht auf-, aber erfolgreich ausgebaut hatte. Übernommen hatte er es von einem früheren PS-Granden, einem Vertrauten von André Cools.
Als ein Produkt der Ära Cools wurde auch er wahrgenommen, und das läutete auch seinen Untergang ein, als sich Betriebsprüferkammer und Justiz dafür interessierten, mit welchem Konstrukt er die zum Goldesel gewordene Firma verlassen und seinem Sohn Frédéric überantwortet hatte. Das waren andere Dimensionen als der gebrauchte Heizungskessel, den Jean-Claude Van Cauwenberghe in seinem Ferienhaus einer Zweitnutzung zuführte. Das war auch der Zeitpunkt, als sein Riecher für die neue digitale Zeitrechnung die bekannten Blüten trieb. Um es kurz zu machen: Daerden hatte sich zu einem reichen Mann hochgearbeitet, hatte Lust an der Macht und fühlte sich gebraucht: Hatte er nicht die Französische Gemeinschaft vor dem Bankrott gerettet?
Und wen setzten Frankophone und PS den flämischen Unterhändlern gegenüber, wenn es echt kritisch wurde? Nicht nur Johan Vande Lanotte entfuhr es diese Woche, nichts sei gefährlicher gewesen als ein scheinbar dahin dösender Daerden, habe man nicht aufgepasst, habe Flandern bei jeder seiner Wortmeldungen der Verlust einer Milliarde gedroht. 2007 war er sogar der Verhandlungsführer, den Di Rupo gegen den ambitionierten Leterme ins Feuer schickte, zu tief steckte den Frankophonen die Erinnerung an Dehaenes Männer mit den ersten Toshiba-Laptops in den Knochen, als die sogenannten Toshiba-Boys die Französische Gemeinschaft an den Rand des Kollaps gebracht hatten.
Solche Erfolge machen übermütig. Doch inzwischen hatte Di Rupo neue Zahlenmenschen um sich geschart, Daerden war nicht mehr unumgänglich, unumgänglich erschienen Di Rupo vielmehr Ecolo auf der einen Seite und seine eigene Image-Offensive Flandern gegenüber.
Wie in allem ist auch der Promi-Kult kulturell geprägt: Der BV, der bekende Vlaming, muss mit positiv besetzten Werten auffallen oder zumindest mit solchen, die so gelten - der "coté people" in der frankophonen Welt surft auf einem schmalen Grat zwischen Klatschspalte und drohendem Spott, wofür Sarkozy mit dem tödlichen Begriff des "Bling Bling" bestraft wurde.
Weshalb Daerden surfte, wusste wohl nur er selbst, vielleicht hat es damit zu tun, dass der Sprachfehler weg ist beim Singen von "Vieille canaille" im Duett, als Crooner. Von allen Auftritten, von amüsant bis peinlich, vielleicht der erhellendste. Oder, weil man reich ist, vielleicht doch noch ein Verfahren fürchtet wegen Interessenkonflikts, spürt, bald ausrangiert zu werden, und zudem stolzer Vater einer attraktiven Tochter ist. Das war auch der Illustrierten Paris Match nicht entgangen, die eine Doppelseite präsentierte, auf der die im Modegeschäft aktive und als DJ arbeitende Aurore als Kleopatra ihrem Vater einen Lorbeerkranz reicht.
Durch all das fast unbemerkt erledigte er seinen letzten großen Auftrag: das Durchrechnen der Pensionsreform, die das Eintrittsalter nicht erhöht, aber die Lebensarbeitszeit, was in vielen Fällen aufs gleiche herauslaufen dürfte. Hängengeblieben ist nur der Slapstick-Auftritt im Parlament. Mit der kuriosen Folge, dass die eigentliche Reform nicht mit seinem Namen und noch weniger mit dem seines Parteipräsidenten verbunden wird: "Papa" dürfte das nur recht gewesen sein, Di Rupo dürfte es gefreut haben, und Van Quickenborne auch, konnte der umtriebige VLD'er doch gleich das Weißbuch umsetzen, dessen Vorstellung durch Daerden im Parlament und später auf Youtube so trefflich vom Inhalt abgelenkt hatte.
Und was bleibt von ihm in Ostbelgien, wo spät an der Theke stehen und früh auf der Arbeit sein nicht immer ein Makel war? Neben vielen Schlaglöchern doch ein paar grundsanierte Regionalstraßen und der Segen der Kreisverkehre. Die nämlich hatte er als Verkehrsminister großflächig eingeführt, St. Vith war eine der Pilotstädte.
Bild: Eric Vidal (belga)